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12 Jahre Ostzusammenarbeit - Evaluation 2003/4 - Band 2 - DEZA

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grund der heutigen Ungewissheit über das zukünftige Szenarium macht das Projekt jedoch<br />

so oder so Sinn, unabhängig von der Frage der Nachhaltigkeit. Die Frage der<br />

Nachhaltigkeit darf in diesem Falle also nicht kategorisch gestellt werden und kann nur<br />

vor Hintergrund des Gesamtkontextes beurteilt werden<br />

4.4 Fallbeispiel Bulgarien 31<br />

4.4.1 <strong>DEZA</strong> und seco Landesprogramm<br />

4.4.1.1 Transition in Bulgarien<br />

Im November 1989 zwang der Druck der Strasse den bulgarischen Staats- und Parteichef<br />

Todor Schiwkow nach 35jähriger Herrschaft zum Rücktritt. Damit begann in einem der loyalsten<br />

Satellitenstaaten der Sowjetunion ein von Beyme 32 als „pragmatisches Durchwursteln“<br />

bezeichneter Prozess, der grundsätzlich von oben, jedoch mit einem gewissen Druck von<br />

unten gesteuert wurde. Die reformierte kommunistische Partei (Bulgarian Socialist Party<br />

BSP) ging überraschend als knappe Siegerin aus den Wahlen im Juni 1990 hervor. Instabilität<br />

und Massendemonstrationen führten im Dezember des gleichen <strong>Jahre</strong>s zur Bildung der<br />

ersten Mehrparteienregierung. Verschiedene Regierungen in unterschiedlicher Zusammensetzung<br />

folgten in kurzer Zeit. Eine verfehlte Fiskal- und Geldpolitik führte 1996 zu Hyperinflation<br />

und Anfang 1997 zum vorzeitigen Rücktritt der herrschenden BSP-Regierung. Die neu<br />

gewählte Mitte-Rechts-Koalition bemühte sich, die soziale und ökonomische Stabilität wieder<br />

herzustellen und verfolgte einen prononciert pro-europäischen Kurs. Korruptionsverdacht<br />

und die Tatsache, dass trotz wirtschaftlicher Erholung viele Menschen keine Verbesserung<br />

ihrer Lebensumstände verspürten, führten auch bei dieser Regierung zu einem Popularitätsverlust.<br />

Trotzdem erstaunte, dass die vom Ex-König Simeon Saxecoburggotski innert wenigen<br />

Monaten nach seiner Rückkehr (er wurde 1943 als 6jähriger exiliert) gebildete Nationale<br />

Bewegung im Juni 2001 die Parlamentswahlen gewinnen konnte. Zwar haben sich Mitte<br />

<strong>2003</strong> die Erwartungen einer raschen Verbesserung der persönlichen Verhältnisse für viele<br />

(noch) nicht erfüllt. Aber die Institutionen einer parlamentarischen Demokratie scheinen mittlerweile<br />

robust und die politischen Verhältnisse ziemlich stabil.<br />

Die Wirtschaft Bulgariens ist von 1989 bis 1997 um knapp 40% geschrumpft und hat sich<br />

seither zunehmend erholt. Im Jahr 2002 erreichte die Wachstumsrate mit 4.8% einen Wert,<br />

den nur wenige osteuropäischen Länder übertroffen haben. Das Bruttosozialprodukt pro<br />

Kopf erreichte 2002 etwa 80 % des Niveaus von 1989. In diesen nüchternen Zahlen drückt<br />

sich ein Dilemma aus, welches Bulgarien mit vielen anderen Transitionsländer teilt, nämlich<br />

dass die Transition dem Einzelnen nicht nur Anpassung und Wertewandel abverlangen,<br />

sondern auch oft mit einem Arbeitsplatz- oder Wohlfahrtsverlust verbunden ist. Besonders<br />

betroffen sind Pensionierte, Arbeitslose (die Arbeitslosenrate liegt bei etwa 18%) und von<br />

Frauen geführte Haushalte. Indikator des schwierigen Transitionsprozesses ist auch, dass<br />

eine tiefe Geburtenrate und Auswanderung seit der Wende zu einer Reduktion der Bevölkerung<br />

um etwa ein Millionen Menschen und zur Überalterung führten. So lebten 2001 noch<br />

7.9 Mio. Menschen in Bulgarien auf einer Fläche von 110’000 km2. Eher jüngere, gebildete,<br />

städtische Schichten hingegen sind die Träger der Transition und ihnen eröffnen sich auch<br />

neue Möglichkeiten im Inland – aber auch im Ausland, was den Prozess der Transition wiederum<br />

hemmt.<br />

31 Das NADEL-Team interviewte für dieses Fallbeispiel zahlreiche an der bulgarisch-schweizerischen Zusammenarbeit Beteiligte,<br />

vor allem in Bulgarien. Unser Dank gilt allen, die ihre Zeit und ihr Wissen grosszügig mit uns geteilt haben. Besonders erwähnen<br />

möchten wir die Mitarbeitenden des schweizerischen Kooperationsbüros in Sofia unter der Leitung des Koordinators<br />

Georges Capt, welche mit Geduld und grosser Erfahrung auf unsere vielen Fragen eingegangen sind und die zudem unseren<br />

Aufenthalt in Bulgarien fachlich und organisatorisch mustergültig unterstützt haben. Ebenso möchten wir den Bulgarien-<br />

Verantwortlichen in Bern, Jean-Pierre Egger, <strong>DEZA</strong> und Olivier Bovet, seco, für ihre Unterstützung und ihre Kommentare ganz<br />

herzlich danken.<br />

32 Melzer A. (<strong>2003</strong>): Die Transition und ihre Schatten. Zehn <strong>Jahre</strong> <strong>Ostzusammenarbeit</strong>. Entwurf

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