Person und Glaube - Institut zur Förderung der Glaubenslehre
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Kapitel 4<br />
v. Balthasar spricht von Flucht, aus Überdruss am Suchen, in<br />
ein System o<strong>der</strong> in resignierenden Agnostizismus (L II 88). Ich<br />
möchte in Aufnahme des eingangs Angesprochenen als drittes<br />
nennen: die "Selbstkonturierung" einer Erkenntnis-Suche, die<br />
sich als Begreifen-wollen versteht. Beginnt nämlich diese sich<br />
selbst zu begreifen, muss sie erkennen, dass bei Erfolg ihres<br />
Vereinnahme-Bemühens sie sich selbst aufhöbe; sie hätte dann<br />
ihr Gegenüber aufgezehrt wie ein Feuer den Brennstoff: "Wer<br />
alles durchschaut, sieht nichts mehr." 261<br />
Darum setzt sie sich ein "Unverzehrbares" entgegen, um sich<br />
ohne Ende daran abarbeiten zu können. Negativität also gerade<br />
um <strong>der</strong> Suche <strong>und</strong> ihrer Endlosigkeit willen. Der bekannteste<br />
deutsche Text hierfür ist wohl Gotthold Ephraim Lessings<br />
Duplik: 262 "Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit, <strong>und</strong> in<br />
seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit,<br />
obschon mit dem Zusatze, mich immer <strong>und</strong> ewig zu irren [!],<br />
verschlossen hielte, <strong>und</strong> spräche zu mir: wähle! Ich fiele ihm mit<br />
Demut in seine Linke, <strong>und</strong> sagte: Vater gib! die reine Wahrheit<br />
ist ja doch nur für dich allein!"<br />
Gott, wohlgemerkt, bietet nach Lessing an; es steht kein<br />
prometheischer Vorwitz <strong>zur</strong> Diskussion. Und seine Linke birgt<br />
nicht nur endlose Suche, son<strong>der</strong>n ewiges Irren. Wie lässt sich da<br />
vertreten, es gehe dem Sucher um Wahrheit? Statt dessen ist ihm<br />
um die eigene Beweglichkeit zu tun (in <strong>der</strong> irrigen Meinung<br />
zudem, die Wahrheit – wirklich erkannt – , mache träge 263). Was<br />
W<strong>und</strong>er, dass Hegel angesichts solcher "Demut" sich über einen<br />
Hochmut empört (er spricht sogar von Hass <strong>und</strong> Eitelkeit), <strong>der</strong><br />
_______________<br />
261 Vgl. K. H. Waggerl: "Gewisse Dinge verstehe ich nicht mehr,<br />
sobald ich sie begriffen habe." Sämtl. Werke, Salzburg 1970, II 649 (Kleine<br />
Münze).<br />
262 Duplik I: Werke (H. G. Göpfert), München 1976 / Darmstadt 1996,<br />
VIII 31-33.<br />
263 Ich finde mich zu dem anatomischen Hinweis versucht, dass man<br />
selbstverständlich das nicht zu sehen vermöge, was man be-sitzt. Im<br />
übrigen hierzu F. W. J. Schelling: "Wir verstehen [unter Religiosität]<br />
nicht, was ein krankhaftes Zeitalter so nennt, müßiges Brüten, andächtelndes<br />
Ahnden, o<strong>der</strong> Fühlenwollen des Göttlichen. Denn Gott ist in uns<br />
die klare Erkenntnis o<strong>der</strong> das geistige Licht selber, in welchem erst alles<br />
andre klar wird, weit entfernt, dass es selbst unklar sein sollte; <strong>und</strong> in<br />
wem diese Erkenntnis ist, den läßt sie wahrlich nicht müßig sein o<strong>der</strong><br />
feiern." (Sämtl. Werke [1860], VII 392).