"Fremdhäßige", Handwerker & Genossen - Johann-August-Malin ...

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Anläßlich
der Reichsratswahl von 1907 fragte der 'Volksblatt' -Korrespondent
von Nüziders, einer Nachbargemeinde von Bürs, bei den
Genossen an, warum man deren Programm "nicht in einer imposanten
Wählerversammlung erfahren" dürfe. "Warum in der Nacht
diese Freudenbotschaft?" stichelte er weiter, hatten doch die Sozialdemokraten
ihren Wahlaufruf, ihr Wahlprogramm, wie in den
meisten anderen Vorarlberger Orten nach Einbruch der Dunkelheit
heimlich vor die Haustüren gelegt.
"Na ja!" schloß der Schreiber höhnisch seinen Artikel. "Zur Befriedigung
der gütigen Spender dieses Wahlaufrufes will ich noch
mitteilen, was ich damit angefangen. Mein Exemplar diente mir
beim Rasieren, um Seife und Bartstoppeln vom Rasiermesser zu
streifen. "495
Bei der Wahl wurden 68 sozialdemokratische Stimmen abgegeben,
das entsprach 33,8 Prozent. Damit konnte Nüziders landesweit
- und dies macht das Beispiel so aufschlußreich - das beste SDAP­
Ergebnis verbuchen.
Die Erfahrung von Bürs, wie auch jene von Nüziders, zeigt, daß
die bloße Existenz von sozialdemokratisch gesinnten Einzelpersonen
und Gruppen, selbst einer zahlenmäßig relativ bedeutenden
Menge, zu keiner Organisierung führt. Quantität muß in Qualität
umschlagen: Es muß sich ein sozialdemokratisches Milieu bilden,
dem es gelingt, Öffentlichkeit zu erlangen. Es genügte nicht,
anonym in der Nacht Flugblätter zu verstreuen und anonym in der
Wahlzelle ein Zeichen an bestimmter Stelle anzubringen.
Postkarte von Hard mit den beiden größten Fabriken des Ortes ('Jenny'-Fabrik:
500 Beschäftigte; Offermannsche Spinnerei: 450 Beschäftigte). In der
zweiten Reihe rechts: Abbildung des hochangesehenen sozialdemokratischen
Vereinslokals 'Zum Engel'. Um 1905.
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