"Fremdhäßige", Handwerker & Genossen - Johann-August-Malin ...

4. "Aber streiken tun sie doch ... "
Die sozialdemokratischen Italienerorganisationen
Bis auf ganz wenige Ausnahmen wurde bislang in Kreisen der Vorarlberger
Historikerschaft der Mythos erzeugt, aufrechterhalten
und weitergesponnen, daß die Sozialdemokratie im Lande in der
Monarchie wesentlich oder überhaupt ausschließlich von italienischen
Migranten getragen wurde. Ein Blick auf die politische
Landkarte der Region zeigt, daß hier mehr Ideologie als Geschichte
im Spiel war und ist: In den meisten 'welschen' Fabriksgemeinden
des Rheintales und Walgaues spielte die Sozialdemokratie keine
Rolle. So wählte Thüringen mit seinem 25prozentigen Italieneranteil
regelmäßig ausschließlich christlichsozial und liberal. 1164
Dasselbe gilt für Kennelbach mit vier südländischen Migranten unter
zehn Einwohnern. Dort sind nicht einmal Spurenelemente eines 325
Arbeiterbildungsvereines, einer Ortsgruppe oder zumindest einer
Zahlstelle der Sozialdemokratischen Partei oder der Freien Gewerkschaft
auffindbar, ja selbst sich zur Sozialdemokratie bekennende
Einzelpersonen muß man wie die berühmte Nadel im Heuhaufen
suchen. In der Nachbargemeinde Wolfurt, in der es eine italienische
Kolonie gab, deren Mitglieder über die Bregenzer Ache
in die Kennelbacher Fabriken pendelten, unternahmen im Herbst
1903 sozialistisch gesinnte Textilarbeiter einmal kurzfristig einen
Versuch, etwas Boden unter die Füße zu bekommen. 1165 Trotz massiver
Unterstützung durch die deutschsprachige SDAP war hier absolut
nichts zu holen, und das 'Volksblatt' konnte 1909 voller Häme
und wahrheitsgemäß schreiben, die Ortschaft sei nach wie vor
vollständig "sozirein".1166 Auf ähnliche 'Reinheitsgrade' stößt man
bei den meisten Industriedörfern Vorarlbergs, und wo nicht, waren
dafür alle anderen als die italienischen Migranten verantwortlich.