Arbeitshilfe - Justizakademie Nordrhein-Westfalen
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Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
10.1 Voraussetzungen der Rückgewinnungshilfe<br />
Fall 29:<br />
Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, die von einer örtlichen Steuerfahndungsstelle<br />
und der Polizei unterstützt werden, richten sich gegen eine international agierende<br />
Tätergruppe, welche dringend tatverdächtig ist, im Rahmen eines Umsatzsteuerkarussells<br />
zu Unrecht Vorsteuererstattungen in Millionenhöhe realisiert zu haben.<br />
Hiervon betroffen sind sowohl in- als auch ausländische Finanzämter in Frankreich,<br />
Belgien und Luxemburg.<br />
Die auch im Wege der justiziellen Rechtshilfe im EU-Raum durchgeführten Finanzermittlungen<br />
haben Hinweise auf Legalvermögen der Haupttäter sowohl im In- als auch<br />
im EU-Ausland ergeben.<br />
Sind vor diesem Hintergrund Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO geboten?<br />
Frage:<br />
Wann ist die Ermessensentscheidung anhand des Einzelfalls eröffnet?<br />
§ 111b Abs. 5 StPO bestimmt, dass die Absätze 1 bis 4 entsprechend gelten, soweit der Verfall nur<br />
deshalb nicht angeordnet werden kann, weil die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB vorliegen.<br />
Die Ermessensentscheidung anhand der Umstände des Einzelfalls 372 ist daher ausschließlich dann<br />
eröffnet, wenn eine natürliche oder juristische Person oder sonst geschützte Personenvereinigung<br />
durch eine Straftat individuell verletzt ist und daneben die sonstigen Voraussetzungen des § 73 Abs. 1<br />
Satz 2 StGB erfüllt sind.<br />
Bei der Ermessensausübung sind im Rahmen einer Gesamtbetrachtung die Belange des Opferschutzes,<br />
aber auch die tatsächlichen respektive rechtlichen Möglichkeiten des Verletzten zur Durchsetzung<br />
seiner Ansprüche, ferner die Höhe des Schadens, die Zahl der Verletzten und deren bisheriges Verhalten<br />
und darüber hinaus der (Verfolgungs-)Aufwand, die Möglichkeiten der Verfahrensbeschränkung<br />
nach §§ 154 ff. StPO und die Option des späteren Auffangrechtserwerbs nach § 111i Abs. 2 – 8 StPO<br />
– unter differenzierender Gewichtung der einzelnen Aspekte - in den Blick zu nehmen 373 .<br />
Bei einem dinglichen Arrest, der den Zugriff auf das Legalvermögen des Arrestbetroffenen erlaubt und<br />
daher als besonders eingriffsintensiv aufzufassen ist, bestehen dabei erhöhte Anforderungen insbesondere<br />
in verfassungsrechtlicher Hinsicht 374 . Die neben der Inzidenterprüfung der maßgeblichen<br />
Normen des materiellen Rechts notwendige Abwägung der ermessensleitenden Umstände ist somit<br />
komplex. Sie verlangt ein genaue Analyse der relevanten Faktoren sowohl in tatsächlicher als auch<br />
rechtlicher Hinsicht unter Abkehr gängiger Klischees und Vorurteile.<br />
Die Notwendigkeit einer solch umfassenden Ermessensausübung kommt insbesondere bei Verfahren<br />
unter Beteiligung von „starken Verletzten“ wie Finanzämtern oder großen Unternehmen mit eigener<br />
Rechtsabteilung zum Tragen.<br />
372 Schlachetzki, wistra 2011, 41 (47).<br />
373 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 19 ff. und § 111d Rn. 6 m.w.N.; Malitz, NStZ<br />
2002, 337 (338 ff.); Greier, ZInsO 2007, 953 ff.; Schlachetzki, wistra 2011, 41 (44 ff.).<br />
374 Vgl. Teil II, 2., 2.1, 2.1.1<br />
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