Arbeitshilfe - Justizakademie Nordrhein-Westfalen
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Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
3. Verfahrensarten – Objektives und Subjektives Verfahren (§<br />
76a StGB) / Nachträgliche Anordnung nach § 76 StGB<br />
3.1 Objektives Verfahren nach § 76a StGB<br />
Die Anordnung des Verfalls und der Einziehung im subjektiven Verfahren entspricht dem Regelfall.<br />
Die Durchführung des selbständigen Verfalls-/Einziehungsverfahrens nach §§ 76a StGB i.V.m. 440 –<br />
442 StPO kommt dagegen in der Praxis ausgesprochen selten vor.<br />
Schmidt 208 führt zum Grundgedanken des § 76a StGB Folgendes aus:<br />
„(…) Es wurde nunmehr unterschieden zwischen dem Verfall und der Einziehung und<br />
bei der Einziehung zwischen dieser Maßnahme als nebenstrafähnlicher Maßnahme, die<br />
im selbständigen Verfahren angeordnet werden kann, auch wenn tatsächliche Hindernisse<br />
der Verfolgung oder Verurteilung entgegenstehen (§ 76a Abs. 1), und der Einziehung<br />
(Unbrauchbarmachung) als Sicherungsmaßnahme, bei der auch rechtliche Gründe,<br />
die eine subjektive Verfolgung hindern, die selbständige Einziehung nicht ausschließen,<br />
es sei denn, dass a) ein besonderes Gesetz Abweichendes bestimmt oder<br />
dass b) ein Strafverlangen oder eine gleichgestellte Erklärung fehlt, von der das Gesetz<br />
die subjektive Verfolgung abhängig macht (§ 76a Abs. 2 StGB). Der Vorschlag, die<br />
selbständige Anordnung von Verfall und Einziehung bei Straftaten auch im Falle des<br />
Absehens von Strafe oder der Verfahrenseinstellung im Rahmen des Opportunitätsprinzips<br />
zuzulassen, wurde beibehalten (§ 76a Abs. 3 StGB)“.<br />
Daraus folgt, dass § 76a StGB in erster Linie die Verbindung von Verfall und Einziehung vom subjektiven<br />
Verfahren löst, hingegen deren Anwendungsvoraussetzungen unberührt lässt. Die Norm bietet<br />
daher einen anderen prozessualen Weg 209 . Dies steht in Einklang mit der übrigen Gesetzessystematik.<br />
Wenn die Verjährung der Tat als Verfahrenshindernis (zu vgl. § 78 Abs. 1 Satz 1 StGB) und demgemäß<br />
auch die übrigen – nicht behebbaren – Verfahrenshindernisse den Verfall und die Einziehung<br />
grundsätzlich ausschließen (Ausnahme: §§ 78 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. 76a Abs. 2 Satz 1 StGB in den Fällen<br />
der Sicherungseinziehung) 210 , so können diese Maßnahmen im Rahmen des § 76a Abs. 1 und Abs.<br />
3 StGB nur dann selbständig angeordnet werden, wenn wegen einer Straftat aus tatsächlichen Gründen<br />
keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden kann. Dabei kommen infolgedessen auch<br />
nur solche Hinderungsgründe in Betracht, welche die materielle Strafbarkeit der Tat als solche wie<br />
auch ihre verfahrensrechtliche Verfolgbarkeit unberührt lassen und lediglich ihre faktische Sanktionierung<br />
unmöglich machen 211 . Dementsprechend ist § 76a Abs. 2 StGB, der auf die Voraussetzungen der<br />
§§ 74 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 und 74d StGB als Maßnahmen mit ausschließlich sicherndem Charakter<br />
abstellt und rechtliche Hinderungsgründe abbildet, als Ausnahmevorschrift ausgestaltet, um aus Gründen<br />
der Gefahrenabwehr die Unbrauchbarmachung betreffender Gegenstände zu gewährleisten.<br />
3.1.1 Tatbestände<br />
I § 76a Abs. 1 StGB<br />
Erforderlich ist zunächst, dass eine Straftat begangen wurde, in den Fällen des Verfalls eine rechtswidrige,<br />
nicht notwendigerweise schuldhafte Tat (im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB), und bei der Einziehung<br />
mit nebenstrafähnlichem Charakter (§ 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB, 74a StGB) eine vorsätzliche Tat,<br />
die mithin Verschulden voraussetzt.<br />
Zwar steht, wenn der Täter – den Verfall gleichwohl eröffnend – schuldlos handelt, seiner Verurteilung<br />
kein tatsächliches, sondern ein rechtliches Hindernis entgegen, so dass es nach dem Wortlaut des §<br />
76a Abs. 1 StGB nahe liegen könnte, dass ein selbständiges Verfallsverfahren ausscheidet. Dies widerspräche<br />
indes dem Regelungsgehalt des § 76a Abs. 1 StGB, der die Anordnung des Verfalls beim Vorliegen<br />
der Voraussetzungen der Maßnahme ohne Rücksicht auf die persönliche Verfolgbarkeit des<br />
208 Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 76a Rn. 2.<br />
209 Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 76a Rn. 4.<br />
210 Vgl. hierzu Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 13; Schmidt,<br />
Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 76a Rn. 9.<br />
211 BGH, (Vorlage-)Beschluss vom 05.05.2011, 3 StR 458/10.<br />
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