Franz von Sales – Band 1 - Gott ist die Liebe
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III,6<br />
123<br />
6. Kapitel<br />
Demut läßt uns <strong>die</strong> Erniedrigung lieben.<br />
Ich gehe noch weiter und sage: Du mußt immer und jederzeit deine<br />
eigene Erniedrigung lieben. Du fragst mich, was das heißt. Im Lateinischen<br />
bedeutet abjectio (Erniedrigung) und humilitas (Demut) das gleiche.<br />
Wenn Unsere liebe Frau im Magnificat singt, „Quia respexit humilitatem<br />
ancillae suae, beatam me dicent omnes generationes“, so will<br />
sie sagen, daß der Herr in Güte auf ihre Demut, Niedrigkeit und Armseligkeit<br />
herabgeschaut hat, um sie mit Gnade und Gunst zu überhäufen.<br />
Abjectio <strong>ist</strong> das Kleinsein, <strong>die</strong> Niedrigkeit und Armseligkeit, <strong>die</strong> in uns<br />
<strong>ist</strong>, ohne daß wir daran denken; <strong>die</strong> Tugend der Demut aber <strong>ist</strong> <strong>die</strong> ehrliche<br />
Kenntnis und das freiwillige Anerkennen unserer Niedrigkeit. Der<br />
Gipfel der Demut aber besteht darin, daß man nicht nur freiwillig seine<br />
Niedrigkeit anerkennt, sondern sie liebt und gern auf sich nimmt <strong>–</strong> nicht<br />
aus Mangel an Mut und Hochherzigkeit, sondern um angesichts der eigenen<br />
Niedrigkeit <strong>die</strong> göttliche Majestät um so mehr zu preisen und den<br />
Nächsten höher zu schätzen. Dazu will ich dich ermuntern.<br />
Wisse, daß <strong>von</strong> den Übeln, an denen wir leiden, <strong>die</strong> einen uns Geringschätzung,<br />
andere dagegen Ehre einbringen. Viele schicken sich in <strong>die</strong><br />
ehrenden Übel, fast niemand aber in <strong>die</strong> erniedrigenden.<br />
Schau dir einen frommen, in Lumpen gehüllten, vor Kälte zitternden<br />
Einsiedler an: Alles ehrt seine ärmliche Kleidung und hat Mitleid mit<br />
ihm. Wenn aber ein armer Handwerker, ein verarmter Adeliger oder ein<br />
mittelloses Mädchen in der gleichen Lage sind, dann werden sie verachtet<br />
und verspottet; ihre Armut <strong>ist</strong> erniedrigend. Ein Ordensmann nimmt<br />
demütig eine strenge Zurechtweisung <strong>von</strong> seinem Obern an, ein Kind<br />
<strong>von</strong> seinem Vater; jedermann wird das Selbstüberwindung, Gehorsam<br />
und Weisheit nennen. Wenn aber ein Ritter oder eine Dame dasselbe<br />
erträgt aus <strong>Liebe</strong> zu <strong>Gott</strong>, dann nennt man es Feigheit; das <strong>ist</strong> also ein<br />
anderes erniedrigendes Übel. Der eine hat ein Geschwür am Arm, ein<br />
anderer im Gesicht; der eine hat nur das Übel, der andere außer dem<br />
Übel auch noch <strong>die</strong> Geringschätzung und Erniedrigung zu tragen. Nun<br />
sage ich dir: Du mußt nicht nur das Übel lieben (wozu uns <strong>die</strong> Tugend<br />
der Geduld verhilft), sondern auch <strong>die</strong> daraus erwachsende Erniedrigung,<br />
was <strong>die</strong> Tugend der Demut bewirkt.