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Franz von Sales – Band 1 - Gott ist die Liebe

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III,28<br />

entschuldigen können, so wollen wir doch Mitleid haben und sie der<br />

noch am ehesten erträglichen Ursache zuschreiben, wie der Unwissenheit<br />

oder Schwäche.<br />

Darf man also niemals über den Nächsten urteilen? Nein, gewiß nicht.<br />

<strong>Gott</strong> urteilt über <strong>die</strong> Verbrecher im Gericht. Er be<strong>die</strong>nt sich wohl der<br />

Stimme staatlicher Beamter, um sich unseren Ohren vernehmbar zu machen.<br />

Sie sind seine Dolmetscher und dürfen nichts aussprechen, was sie<br />

nicht <strong>von</strong> ihm wissen, da sie nur seine Sprecher sind. Handeln sie anders,<br />

folgen sie ihren Leidenschaften, dann richten sie selbst und werden demnach<br />

auch gerichtet werden, denn es steht keinem Menschen zu, als Mensch<br />

andere zu richten.<br />

Etwas sehen und wissen, heißt noch nicht urteilen. Das Richten setzt<br />

nach der Heiligen Schrift eine große oder kleine, wirkliche oder scheinbare<br />

Schwierigkeit voraus, <strong>die</strong> überwunden werden muß. Deshalb sagt<br />

auch <strong>die</strong> Heilige Schrift, daß <strong>die</strong> Ungläubigen schon gerichtet sind (Joh<br />

3,18), weil es über ihre Verdammnis keinen Zweifel geben kann. Es <strong>ist</strong><br />

deshalb noch kein Unrecht, wenn man über Mitmenschen Zweifel hegt;<br />

denn nicht der Zweifel <strong>ist</strong> verboten, sondern das Richten. Allerdings darf<br />

man nur zweifeln und argwöhnen, soweit Gründe und Beweise uns dazu<br />

zwingen, sonst wären auch Zweifel und Argwohn freventlich. Wenn irgendein<br />

übelwollender Mensch Jakob gesehen hätte, als er Rahel am<br />

Jakobsbrunnen küßte (Gen 29,11), oder Rebekka, als sie <strong>von</strong> dem in<br />

ihrer Gegend ganz unbekannten Elieser <strong>die</strong> Armspangen und Ohrgehänge<br />

annahm (ebd. 24,22), so hätte er gewiß <strong>von</strong> <strong>die</strong>sen zwei vorbildlich<br />

reinen Menschen zu Unrecht schlecht gedacht. Denn wenn eine Handlung<br />

an sich weder gut noch schlecht <strong>ist</strong>, dann <strong>ist</strong> es ein freventlicher<br />

Argwohn, daraus schlechte Folgerungen zu ziehen, außer es gäben verschiedene<br />

Umstände den Gründen Gewicht. Ein freventliches Urteil <strong>ist</strong><br />

es auch, aus einer Handlung weitgehende Folgerungen zu ziehen, und<br />

jemand ihretwegen schlechte Eigenschaften zuzuschreiben. Darüber muß<br />

ich mich noch deutlicher ausdrücken.<br />

Wer um das eigene Gewissen wirklich Sorge trägt, wird schwerlich in<br />

den Fehler eines freventlichen Urteils verfallen. Wenn <strong>die</strong> Bienen sehen,<br />

daß es neblig <strong>ist</strong>, ziehen sie sich in den Stock zurück und beschäftigen<br />

sich mit dem Honig. So befassen sich auch <strong>die</strong> Gedanken guter Menschen<br />

nicht mit unklaren und nebelhaften Handlungen ihrer Mitmenschen,<br />

sondern ziehen sich in das eigene Herz zurück, um sich dort mit<br />

guten Vorsätzen für den eigenen Fortschritt zu beschäftigen. Nur müßige

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