Franz von Sales – Band 1 - Gott ist die Liebe
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IV,13<br />
strebe, <strong>die</strong> in einem festen und entschlossenen, stets bereiten und tätigen<br />
Willen besteht, alles auszuführen, was sie als <strong>Gott</strong> wohlgefällig erkennt.<br />
Ein Kind wird weinen, wenn es sieht, wie man der Mutter mit einem<br />
Schnitt zur Ader läßt; verlangt aber <strong>die</strong> Mutter zur gleichen Zeit <strong>von</strong> ihm<br />
einen Apfel oder ein Stück Zucker, das es in der Hand hält, so wird es<br />
nichts da<strong>von</strong> hergeben. So sind auch zume<strong>ist</strong> <strong>die</strong>se zärtlichen Frömmeleien:<br />
man weint und schluchzt, wenn man das Herz Jesu <strong>von</strong> einer Lanze<br />
durchbohrt sieht. Ja, es <strong>ist</strong> gewiß schön, wenn man das bittere Leiden und<br />
Sterben unseres Herrn und Erlösers beweint; aber warum geben wir ihm<br />
nicht den Apfel, den wir in der Hand halten, den er <strong>von</strong> uns so inständig<br />
verlangt, nämlich unser Herz, den einzigen <strong>Liebe</strong>sapfel, den <strong>die</strong>ser treue<br />
Heiland <strong>von</strong> uns fordert? Warum verzichten wir nicht auf <strong>die</strong> kleinen<br />
Neigungen, Freuden und Befriedigungen, <strong>die</strong> er uns aus der Hand nehmen<br />
möchte und nicht kann, weil sie unsere Süßigkeit sind, nach der wir<br />
gieriger verlangen als nach seiner himmlischen Gnade? Ach, das sind<br />
Freundschaften <strong>von</strong> kleinen Kindern, zärtlich aber schwach, phantastisch<br />
aber wirkungslos! Die Frömmigkeit besteht nicht in <strong>die</strong>sen Zärtlichkeiten,<br />
in <strong>die</strong>sem Gefühlsüberschwang; das alles entstammt zuweilen einem<br />
weichen und empfindsamen Charakter, zuweilen kommt es vom bösen<br />
Feind; er will, daß wir damit herumtändeln, deshalb erregt und erhitzt er<br />
unsere Phantasie so lange, bis sie <strong>die</strong>se Wirkungen hervorbringt.<br />
2. Diese zärtlichen <strong>Liebe</strong>sregungen sind aber zuweilen doch sehr gut<br />
und nützlich. Sie wecken den Hunger der Seele, stärken den Ge<strong>ist</strong> und<br />
fügen zur Bereitschaft der Frömmigkeit noch heilige Freude und inneren<br />
Jubel hinzu, <strong>die</strong> unseren Handlungen Schönheit und Anmut nach außen<br />
verleihen.<br />
Freude an göttlichen Dingen meint David, wenn er betet: „Herr, Deine<br />
Worte sind süß meinem Mund, süßer als Honig meinem Gaumen“ (Ps<br />
119,103). Ja, <strong>die</strong> geringste Regung der Freude in der Frömmigkeit wiegt<br />
in jeder Hinsicht <strong>die</strong> glänzendsten Vergnügungen auf, wie sie <strong>die</strong> Welt<br />
bieten kann. Köstlicher als der kostbarste Wein irdischer Freuden <strong>ist</strong> <strong>die</strong><br />
Milch, d. h. <strong>die</strong> Gunst des göttlichen Bräutigams (vgl. Hld 1,1). Wer sie<br />
verkostet hat, dem sind alle anderen Freuden wie Galle und Wermut.<br />
Wer Skythenkraut im Mund hat, empfindet es so angenehm, daß er weder<br />
Hunger noch Durst verspürt. So kann auch jener, dem <strong>Gott</strong> <strong>die</strong>ses himmlische<br />
Manna innerer Süßigkeit und Freude zu kosten gab, <strong>die</strong> Freuden