Franz von Sales – Band 1 - Gott ist die Liebe
Franz von Sales – Band 1 - Gott ist die Liebe
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gleichzeitig abstoßend macht, dann werde ich mich wohl um <strong>die</strong> Heilung<br />
bemühen, nicht aber darum, <strong>die</strong>se Erniedrigung vergessen zu machen,<br />
<strong>die</strong> mir daraus erwächst. Habe ich eine Unschicklichkeit begangen, <strong>die</strong><br />
niemand kränkte, dann werde ich mich nicht entschuldigen; wenn es<br />
auch ein Fehler war, so blieb er doch ohne ernste Folgen. Eine Entschuldigung<br />
<strong>die</strong>nte nur dazu, der nachfolgenden Erniedrigung zu entgehen;<br />
das kann aber <strong>die</strong> Demut nicht zulassen. Habe ich aber aus Unachtsamkeit<br />
oder Ungeschick jemand eine Beleidigung oder Ärger zugefügt, dann<br />
werde ich es durch eine aufrichtige Entschuldigung wieder gut zu machen<br />
versuchen; denn hier hat mein Fehler Folgen und <strong>die</strong> <strong>Liebe</strong> verpflichtet<br />
mich, sie zu beseitigen.<br />
Die <strong>Liebe</strong> verlangt übrigens zuweilen, daß wir <strong>die</strong> Demütigung nicht<br />
auf uns ruhen lassen, wenn <strong>von</strong> unserem guten Ruf das Wohl des Nächsten<br />
abhängt. Entziehen wir uns in <strong>die</strong>sem Fall der Geringschätzung in<br />
den Augen des Nächsten, um kein Ärgernis zu geben, so müssen wir sie<br />
um so mehr unserem Herzen einprägen und darin bewahren, damit es<br />
daraus Nutzen ziehe.<br />
Du fragst nach den wertvollsten Erniedrigungen. Ich sage dir ganz offen:<br />
Der Seele am nützlichsten und <strong>Gott</strong> am wohlgefälligsten sind jene, <strong>die</strong><br />
uns unerwartet und aus den Lebensumständen zustoßen; <strong>die</strong> haben wir<br />
uns nicht ausgesucht, sondern nehmen sie so an, wie <strong>Gott</strong> sie uns schickt,<br />
der seine Wahl immer besser trifft als wir. Wenn wir aber <strong>die</strong> Wahl haben,<br />
dann gelten <strong>die</strong> größten als <strong>die</strong> wertvollsten; <strong>die</strong> größten aber sind jene,<br />
<strong>die</strong> am me<strong>ist</strong>en unseren Neigungen widersprechen, vorausgesetzt, daß sie<br />
nicht im Widerspruch zu unserem Beruf stehen. Ein- für allemal sei<br />
gesagt, daß unsere eigene Wahl und Einschätzung fast alle Tugenden verdirbt<br />
und im Wert mindert. Wer wird uns <strong>die</strong> Gnade schenken, daß wir<br />
mit dem großen König sagen können: „Ich habe es vorgezogen, im Hause<br />
<strong>Gott</strong>es verachtet zu weilen, als in den Zelten der Sünder zu wohnen“ (Ps<br />
84,11)? Das kann nur einer: Er, der <strong>–</strong> um uns zu erhöhen <strong>–</strong> so lebte und<br />
starb, daß er „den Menschen zum Abscheu und dem Volk zum Gespött<br />
wurde“ (Ps 22,7).<br />
Ich habe dir vieles gesagt, was deinem Verstand hart erscheinen wird;<br />
aber glaube mir, es wird dir süßer als Zucker und Honig sein, wenn du es<br />
übst. 1