Franz von Sales – Band 1 - Gott ist die Liebe
Franz von Sales – Band 1 - Gott ist die Liebe
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I,1<br />
Die wahre und lebendige Frömmigkeit setzt <strong>die</strong> <strong>Gott</strong>esliebe voraus; ja<br />
sie <strong>ist</strong> nichts anderes als wahre <strong>Gott</strong>esliebe. Freilich nicht irgendeine <strong>Liebe</strong><br />
zu <strong>Gott</strong>; denn <strong>die</strong> <strong>Gott</strong>esliebe heißt Gnade, insofern sie unserer Seele<br />
Schönheit verleiht und uns der göttlichen Majestät wohlgefällig macht;<br />
sie heißt <strong>Liebe</strong>, insofern sie uns Kraft zu gutem Handeln gibt; wenn sie<br />
aber jene Stufe der Vollkommenheit erreicht, daß wir das Gute nicht nur<br />
tun, sondern es sorgfältig, häufig und rasch tun, dann heißt sie Frömmigkeit.<br />
Der Strauß fliegt nie; <strong>die</strong> Hühner können wohl fliegen, aber nur schwerfällig,<br />
selten und nicht hoch; der Adler aber, <strong>die</strong> Tauben und Schwalben<br />
fliegen oft, mit Leichtigkeit und erheben sich hoch in <strong>die</strong> Lüfte. So<br />
schwingt sich auch der Sünder nie zu Göttlichem auf; er lebt nur auf der<br />
Erde und für <strong>die</strong> Erde. Gute Menschen erheben sich, ehe sie <strong>die</strong> Frömmigkeit<br />
erreicht haben, wohl zu <strong>Gott</strong> durch gute Handlungen, aber selten,<br />
langsam und schwerfällig. Fromme Menschen dagegen schwingen<br />
sich zu stolzen Höhen empor, sie tun es gern, häufig und schnell.<br />
Mit einem Wort: Frömmigkeit <strong>ist</strong> nichts anderes als Gewandtheit und<br />
Lebendigkeit im ge<strong>ist</strong>lichen Leben. Sie läßt <strong>die</strong> <strong>Liebe</strong> in uns oder uns in<br />
der <strong>Liebe</strong> tätig werden mit rascher Bereitschaft und Freude. Die <strong>Liebe</strong><br />
bewirkt, daß wir alle Gebote <strong>Gott</strong>es beobachten; <strong>die</strong> Frömmigkeit, daß<br />
wir sie hurtig und bis ins kleinste erfüllen. Wer also nicht alle Gebote<br />
<strong>Gott</strong>es erfüllt, kann weder als gut noch als fromm bezeichnet werden;<br />
denn um gut zu sein, muß man <strong>die</strong> <strong>Gott</strong>esliebe besitzen; um fromm zu<br />
sein, außer der <strong>Gott</strong>esliebe noch eine große Behendigkeit und rasche<br />
Bereitschaft zu ihren Werken.<br />
Die Frömmigkeit <strong>ist</strong> eine höhere Stufe der <strong>Liebe</strong>; darum läßt sie uns<br />
nicht nur <strong>die</strong> Gebote <strong>Gott</strong>es eifrig, entschlossen und gewissenhaft beobachten,<br />
sondern darüber hinaus noch in liebevollem Eifer viele gute Werke<br />
vollbringen, <strong>die</strong> nicht geboten, sondern nur empfohlen sind oder zu<br />
denen wir uns angetrieben fühlen.<br />
Ein Mensch, der erst vom Krankenlager aufgestanden <strong>ist</strong>, geht zwar<br />
herum, soviel es notwendig <strong>ist</strong>, aber nur langsam und schwerfällig. So<br />
schreitet auch ein Sünder nach seiner Bekehrung voran, soweit es <strong>Gott</strong>es<br />
Gebot verlangt, aber schwerfällig und mühsam. Hat er aber <strong>die</strong> Frömmigkeit<br />
erreicht, dann schreitet er nicht nur kräftig aus wie ein ganz<br />
gesunder Mensch, sondern er läuft mit Leichtigkeit den Weg der Gebote