13.12.2023 Aufrufe

Kontakte – Das Jahrbuch der KIT-Fakultät für Architektur 2023

Im Oktober 2023 ist das neue Jahrbuch der Fakultät erschienen: 468 Seiten Features, Dokumentation und Data aus Lehre, Forschung und Fakultätsleben. In deutsch und englisch.

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Built and Thought<br />

Das gemeinläufige Verständnis von <strong>Architektur</strong><br />

und Städtebau als intrinsische generalistische<br />

Disziplinen, sowohl im akademischen Leben wie<br />

in <strong>der</strong> Berufspraxis, trägt dazu bei, dass die Erzählungen<br />

über ihren Wandel in <strong>der</strong> Zeit von verschiedenen<br />

an<strong>der</strong>en Geschichten durchdrungen<br />

ist, sei es etwa durch die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte,<br />

die Geschichte <strong>der</strong> Technik<br />

o<strong>der</strong> die <strong>der</strong> Kunst, die Umwelt- o<strong>der</strong> die Kulturgeschichte<br />

und an<strong>der</strong>e mehr. Hinzu kommt, dass<br />

die Geschichtsschreibung <strong>der</strong> <strong>Architektur</strong>, <strong>der</strong><br />

Städte und <strong>der</strong> Landschaften oftmals von einem<br />

expansiven intellektuellen Drang angetrieben<br />

worden ist, <strong>der</strong> gerade darauf abzielte, die disziplinäre<br />

Abgrenzung zugunsten einer Integration<br />

mit an<strong>der</strong>en historischen Wissensgebieten von<br />

größerer Trag- und Reichweite zu überwinden.<br />

Dieser expansive Drang <strong>der</strong> <strong>Architektur</strong>geschichte<br />

steht in einem Komplementaritätsverhältnis<br />

zur historiografischen Introspektion, zumindest<br />

<strong>für</strong> all jene Forschende, welche die die<br />

Produktion historischen Wissens mit kritischer<br />

und zugleich reflexiver Haltung betreiben. Auch<br />

wenn neue historiografische Paradigmen in <strong>der</strong><br />

Regel als Reaktion auf die sich verän<strong>der</strong>nden<br />

Realitäten und ihre objektiven Bedingungen hervorgehen,<br />

spielt unweigerlich immer auch persönliche<br />

Voreingenommenheit, einschließlich<br />

ideologischer o<strong>der</strong> intellektueller Art, eine Rolle<br />

bei <strong>der</strong> Einschätzung <strong>der</strong> Relevanz von Fakten<br />

und damit auch <strong>für</strong> die auf diesen basierenden<br />

Darstellungen des historischen Wandels von <strong>Architektur</strong>.<br />

Davon zeugen die vielfältigen und oft<br />

wi<strong>der</strong>sprüchlichen Interpretationen <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne<br />

und <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisierungsprozesse in Bezug<br />

auf <strong>Architektur</strong>en, Städte und Territorien. In Abhängigkeit<br />

von den kulturellen, politischen o<strong>der</strong><br />

intellektuellen Standpunkten <strong>der</strong> jeweiligen Autoren<br />

können ihre Auslegungen grundlegend<br />

voneinan<strong>der</strong> abweichen. Wie die <strong>Architektur</strong><br />

selbst, so ist auch die Art und Weise, wie ihre<br />

Geschichte erzählt wird, ein getreues Spiegelbild<br />

des Wertesystems, aus dem sie hervorgeht.<br />

Nicht zuletzt aus diesem Grund widmet sich die<br />

<strong>Architektur</strong>geschichte <strong>der</strong> reflexiven Problematisierung<br />

kultureller Werte.<br />

In Anbetracht <strong>der</strong> Eigenschaft als intellektuelles<br />

Konstrukt einer jeden <strong>Architektur</strong>geschichte<br />

lohnt es sich, nach <strong>der</strong> Aktualität und<br />

Relevanz <strong>der</strong> verschiedenen Standpunkte zu fragen,<br />

die seit den Ursprüngen in <strong>der</strong> Frühen Neuzeit<br />

ihre Narrative geprägt haben. Eben diesen<br />

Fragen zur Geschichte <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> <strong>Architektur</strong><br />

ging im Juni 2022 <strong>der</strong> 3. Internationale<br />

Kongress <strong>der</strong> AhAU (Asociación de Historiadores<br />

de la Arquitectura y del Urbanismo) nach, <strong>der</strong><br />

von Joaquín Medina Warmburg (<strong>KIT</strong>) und Salvador<br />

Guerrero (ETSAM) konzipiert und geleitet<br />

wurde. An <strong>der</strong> Tagung nahmen vierzig Vortragende<br />

aus zwölf Län<strong>der</strong>n teil, darunter die Hauptredner<br />

Jean-Louis Cohen und Fernando Marías.<br />

Die neun Sektionen des Kongresses warfen zentrale<br />

Fragen <strong>der</strong> historiografischen Debatte auf,<br />

von denen einige zwar alt, aber immer noch ungelöst<br />

sind, und an<strong>der</strong>e geradezu brandneu: Was<br />

ist heute <strong>der</strong> Zweck <strong>der</strong> <strong>Architektur</strong>geschichte?<br />

Von welchen Positionen aus kann <strong>Architektur</strong>geschichte<br />

heute konstruiert werden? Haben die<br />

ehemals wirkmächtigen großen Erzählungen<br />

ihre Relevanz vollständig eingebüßt? Auf welche<br />

Weise und mit welchen Mitteln kann <strong>Architektur</strong>geschichte<br />

heute neu interpretiert und geschrieben<br />

werden? Ist eine vergleichende Betrachtung<br />

<strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> <strong>Architektur</strong> noch sinnvoll?<br />

Wie sollen wir mit <strong>Architektur</strong>en umgehen, die<br />

jenseits des traditionellen Kanons <strong>der</strong> <strong>Architektur</strong>geschichte<br />

entstanden sind? Gibt es einen<br />

differenzierten Diskurs zwischen hoher und<br />

niedriger (populärer) Kultur in <strong>der</strong> <strong>Architektur</strong>historiographie?<br />

Welches sind die Zielgruppen<br />

und die Medien <strong>für</strong> die <strong>Architektur</strong>geschichtsschreibung<br />

in zeitgenössischen Gesellschaften?<br />

Es handelt sich um überaus relevante Fragen,<br />

die weit über die akademischen und beruflichen<br />

Kreise <strong>der</strong> <strong>Architektur</strong> hinausgehen, mit denen<br />

wir gemeinhin ihre Geschichtsschreibung verbinden.<br />

374 Medina Warmburg

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