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Ausgabe 209

Das unparteiische, unabhängige Magazin für ÖsterreicherInnen in aller Welt mit dem Schwerpunkt „Österreich, Europa und die Welt“ erscheint vier Mal im Jahr.

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ÖSTERREICH JOURNAL NR. <strong>209</strong> / 21. 12. 2023<br />

Österreich, Europa und die Welt<br />

12<br />

kanische Revolution gewesen. Von 1848 sei<br />

im Sinne politischer Ideengeschichte nicht<br />

viel geblieben. Er wolle aber nicht abstreiten,<br />

daß die Ereignisse von 1848 ein wichtiger<br />

Impulsgeber gewesen seien, betonte<br />

Wolkenstein. Schließlich hätten die damals<br />

losgetretenen Entwicklungen neue Realitäten<br />

geschaffen, die wiederum Innovationen<br />

hervorgebracht haben.<br />

Erhebliche Einschränkungen<br />

beim Wahlrecht<br />

Birgitta Bader-Zaar, Assistenzprofessorin<br />

am Institut für Geschichte der Universität<br />

Wien, gab zu bedenken, daß die Mitbestimmungsrechte,<br />

die damals gefordert wurden,<br />

nicht mit dem heutigen Demokratiebegriff<br />

vergleichbar seien. 1848 sei Demokratie für<br />

viele noch ein Negativbegriff gewesen, Volks -<br />

herrschaft als anarchistisches Herrschaftssystem<br />

verstanden worden. So sei auch von<br />

jenen, die die Revolution getragen haben, in -<br />

tensiv darüber diskutiert worden, wer überhaupt<br />

wahlberechtigt sein soll. Besitz und<br />

Bildung hätten eine wesentliche Rolle ge -<br />

spielt, arme Menschen seien grundsätzlich<br />

als nicht wahlfähig – weil beeinflußbar und<br />

korrumpierbar – beurteilt worden. Ziel der<br />

Einschränkungen beim Wahlrecht sei es insbesondere<br />

gewesen, die Arbeiterschaft und<br />

die Dienstboten auszugrenzen. Demgegenüber<br />

sei das städtische Bürgertum bei den<br />

Mandaten deutlich bevorzugt worden. Dennoch<br />

ist Bader-Zaar zufolge „einiges von<br />

1848 mitgenommen worden“, wobei sie et -<br />

wa auf die spätere Einführung der Selbstverwaltung<br />

der Gemeinden und interessensgeleitete<br />

Zusammenschlüsse verwies.<br />

Keine unmittelbaren<br />

wirtschaftlichen Auswirkungen<br />

Foto: Parlamentsdirektion/Thomas Topf<br />

Begrüßung durch Parlamentsdirektor Harald Dossi<br />

In der wirtschaftshistorischen Forschung<br />

hat das Revolutionsjahr 1848 laut Clemens<br />

Jobst, Professor am Institut für Wirtschaftsund<br />

Sozialgeschichte der Universität Wien,<br />

keine besondere Bedeutung. Das Jahr falle<br />

in eine Zeit der grundlegenden Modernisierung<br />

der Gesellschaft und der Verlagerung<br />

von der Landwirtschaft zur Industrie, ohne<br />

jedoch hervorzustechen, erklärte er. Die Entwicklung<br />

sei ab den 1820er-Jahren graduell<br />

verlaufen, im Revolutionsjahr und in den Jah -<br />

ren danach habe es – trotz der Aufhebung der<br />

„Untertänigkeit“ – keine merklichen Veränderungen<br />

gegeben. Die Landwirtschaft sei<br />

vor und nach 1848 relativ schwach gewachsen.<br />

Vielleicht habe 1848 trotzdem eine größere<br />

Bedeutung gehabt, als es die Zahlenreihen<br />

vermuten ließen, meinte Jobst und verwies<br />

etwa auf die Einführung der Handelskammer<br />

als Interessenvertretung sowie auf<br />

die Entstehung von Banken in den 1850er-<br />

Jahren und die Gründung von Aktiengesellschaften.<br />

Daß die Revolution genau im Jahr 1848<br />

in vielen Ländern Europas ausbrach, könnte<br />

nach Einschätzung von Jobst nicht zuletzt<br />

auf erheblich steigende Lebensmittelpreise<br />

durch Mißernten und den damit verbundenen<br />

Rückgang der Nachfrage nach Industriegütern<br />

zurückzuführen sein.<br />

Die Revolution sei „nicht aus dem Nichts<br />

gekommen“ und sei mit der Auflösung des<br />

Reichstags auch nicht zu Ende gewesen, hat -<br />

te zuvor schon Karin Schneider vom Parlamentsarchiv<br />

in ihren einleitenden Worten fest -<br />

gehalten. Ihrer Einschätzung nach haben die<br />

damaligen Ereignisse nichts von ihrer Aktua -<br />

lität verloren. Allerdings sei das Jahr 1848 in<br />

politischen Debatten in anderen europäischen<br />

Staaten viel stärker präsent als in Österreich,<br />

gab Moderator Christoph Konrath von der<br />

Parlamentsdirektion zu bedenken. Die Revolution<br />

scheine sehr weit weg zu sein, obwohl<br />

sie Österreich stark geprägt habe.<br />

Historische Wissensplattform<br />

»Wien Geschichte Wiki«<br />

»Österreich Journal« – https://kiosk.oesterreichjournal.at<br />

Christoph Sonnlechner vom Wiener Stadtund<br />

Landesarchiv nutzte die Veranstaltung,<br />

um „Wien Geschichte Wiki“, die historische<br />

Wissensplattform der Stadt Wien, vorzustellen.<br />

Dort seien mittlerweile nicht nur knapp<br />

50.000 Beiträge abrufbar, regelmäßig würden<br />

auch Themenschwerpunkte angeboten,<br />

aktuell etwa zur Revolution von 1848, skizzierte<br />

er. Dabei gehe es weniger um die Re -<br />

volution selbst als vor allem auch um das,<br />

was aus der Revolution erwachsen sei. Immer -<br />

hin gehe etwa der Wiener Gemeinderat auf<br />

die Revolution zurück. Man habe sich außerdem<br />

bemüht, Quellen aufzuarbeiten, die noch<br />

keinen Eingang in die wissenschaftliche Li -<br />

teratur gefunden hätten, schilderte Sonn -<br />

lechner. So sei etwa aus vorhandenen Schadensprotokollen<br />

aus dem Jahr 1848 eine in -<br />

teraktive Karte erstellt worden. Mit der Platt -<br />

form will man ihm zufolge niederschwellige<br />

Informationen für interessierte BürgerInnen<br />

anbieten.<br />

Veranstaltungsreihe<br />

des Parlamentsarchivs<br />

Eingangs der Veranstaltung hatte Parlamentsdirektor<br />

Harald Dossi auf die demokratiepolitische<br />

Bedeutung von Archiven ver -<br />

wiesen. Es gehe darum, authentische und<br />

seriöse Informationen transparent, zuverlässig<br />

und leicht auffindbar bereitzustellen.<br />

Dafür stehe das Parlamentsarchiv in besonderer<br />

Art und Weise, hob er hervor. Die Veranstaltungsreihe<br />

„Parlament und Demokratie<br />

– gestern und heute“ soll laut Dossi ausserdem<br />

dazu beitragen, vorhandene Informationen<br />

„an den Mann und an die Frau zu<br />

bringen“. Es helfe nicht, die besten Informationen<br />

zu haben, wenn sie öffentlich nicht<br />

wahrgenommen würden. Zum Gegenstand<br />

des Round-Table-Gesprächs merkte Dossi<br />

an, das Jahr 1848 sei ein wichtiges Datum<br />

für die Entwicklung des Parlamentarismus,<br />

nicht nur in Österreich, gewesen. n<br />

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/

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