Das Männerdorf 1 - Hermann W. Prignitzer
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„Donnerwetter, det find’ ich mutig. So war mein Bruder nich’. Der hat sich einwickeln<br />
lassen. Kommt eines Tages nach Hause und sagt: ‚Hört zu, Leute, ich geh‘ zur Armee, ich<br />
werd’ Offizier.‘ Unser Vater perplex, wir Geschwister perplex, und unsere Mutter fängt an zu<br />
heulen. Wir sind nämlich bei den Neuapostolischen, musste wissen. Und da kommt wat mit<br />
’ner Waffe eigentlich nich’ in Frage. Aber andrerseits... mein kleener Bruder verdient heut<br />
schon im Monat, das hab’ ich mal knapp in zweien, und für sein Geld schuften wie ich, muss<br />
er ooch nich’. Wenn ich nachts auf der Landstraße liege, liegt der im warmen Bett. Na ja, wat<br />
soll man da sagen?“<br />
Tja, was sollt’ man da sagen? <strong>Das</strong> wusst’ ich nun auch nicht; Lebenserfahrung gleich<br />
Null und auf dem Weg zu meiner allerersten Arbeitsstelle, und dieser Weg, zunächst durch<br />
den Darneuter Forst und dann auf der einen Seite der Landstraße Äcker, auf der anderen Seite<br />
Koppeln, und dann wiederum Wald... also die Strecke, die zog sich, so fand ich, schon mächtig;<br />
ich froh, dass ich sie nicht in Gänze tippeln musste. Und unterhalten wurde ich auch, und<br />
das auf informative Weise, denn wiederum war ich an jemanden geraten, dem Gottesruh ein<br />
Begriff war. Nach der Frau von der Bockwurstbude nun dieser Kraftfahrer vom VEB Kraftverkehr<br />
Hirschwalde, Betriebsteil Darneute. Der Mann kannte das Altersheim sogar schon<br />
seit seiner Kindheit. – „Da war ick das erste Mal, da war ich erst zwölf. Det war im Oktober<br />
zweiundvierzig. Da haben wir da meinen Großvater untergebracht. Von unserm Vater der<br />
Vater. Der is’ erst dieses Jahr im Frühjahr gestorben. Der war da in Emmaus fast zwanzig<br />
Jahre lang. Is’ vierundneunzig geworden. War aber schon ewig mächtig durcheinander, hat<br />
mich mitunter nicht mal mehr erkannt, hat mich stattdessen für ’ne Frau gehalten, und die<br />
wollt’ er dann befummeln. Is’ mir mit der Hand zwischen die Oberschenkel gegangen, als<br />
wenn er da wat gesucht hat. Hat auch nich’ gemerkt, dass ich ’ne Hose anhatte und dass es<br />
det, worauf er da aus war, sowieso nich’ gab. Nischt mit Möse, nur det, wat er selbst in’ner<br />
Hose hatte. Hat aber trotzdem immer wieder gegrapscht und gegrapscht.“<br />
„Und? Haben das welche mitgekriegt?“<br />
„Nee, nee, so durcheinander war er nun ooch wieder nich’. Det hat er immer nur gemacht,<br />
wenn keener dabei war.“<br />
„Und der hat dich dann wirklich für ’ne Frau gehalten?“<br />
„Ja, ja, hat er. Hat mich ja auch so angeredet. ‚Wie geht’s denn, Mädel?‘ und so. Und<br />
wenn er an mir rumgeschrapscht hat, hat er nach ’ner Weile immer gefragt: „Gefall ich dir,<br />
Mädel?‘“<br />
„Und? Was hast du da gesagt?“<br />
„Na, was sollt’ ich schon sagen? ‚Ja, Opa‘, hab’ ich jesagt.“<br />
„Und dann hat er weitergemacht?“<br />
„Ja, ja, hat er. <strong>Das</strong>s ich ‚Opa‘ gesagt hab’, hat er überhaupt nicht registriert. Hat eben<br />
nich’ mehr alles so richtig unterscheiden können. Hat ja sogar ’n paar Mal zu mir gesagt:<br />
‚Mach mir mal ’ne Freude, Mädel, hol dir doch mal meinen Schwengel raus.‘“<br />
„Und? Hast du das gemacht?“<br />
„Hättest du das gemacht? Ich meine, wenn es dein Opa gewesen wäre?“<br />
„Ich glaub’ nich’, nee.“<br />
„Na ja, ich hab’s ja auch nich’ gemacht. Aber besucht hab’ ich ihn alle Jahre, weil sich<br />
ansonsten aus der Familie doch keener groß um ihn gekümmert hat. Den Wilhelm haben sie<br />
sozusagen abgeschoben, als er auf eenmal so tuttelig geworden is’. Hat sich nich’ mehr so<br />
recht wat merken können. Hat zum Beispiel öfter vergessen, das Gas auszudrehen, und solche<br />
Sachen. Eines Tages hat er die ganze Nacht den Wasserhahn laufen lassen, und det konnt’ der<br />
Ausguss nicht schaffen, morgens hat det halbe Haus geschwommen. Na ja, und da haben wir<br />
ihn dann nach Emmaus gebracht. Rein ins Altersheim. Da stand er dann wenigstens unter<br />
Aufsicht. Und seine Ansprache hatte er auch. Jedenfalls mehr, als er sie bei uns zu Hause gehabt<br />
hatte. Da hatte doch keiner mehr so recht für ihn Zeit.. <strong>Das</strong> war doch mitten im Krieg.<br />
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