Das Männerdorf 1 - Hermann W. Prignitzer
Das Männerdorf 1 - Hermann W. Prignitzer
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dazu habe, nee, nee, die hab’ ich nun schon ewig nich’ mehr, Bruder. <strong>Das</strong>s ich mich jeden<br />
Tag von Neuem aufrappel und Ihnen keenen Scherereien mache, das haben Sie nur meiner<br />
Gutmütigkeit zu verdanken.“ – Und so weiter, und so weiter. Und anderen Morgen schlief<br />
Herr Klagegern, und wie es aussah, schlief er prächtig, als ich ins Zimmer kam. Und als ich<br />
ihn antippte: „Na, Herr Klagegern, haben Sie vor, das Frühstück zu verschlafen?... Herr Klagegern...<br />
aufwachen“, da ward der Mann allmählich munter, und auf meine Frage, ob er gut<br />
geschlafen hätte, hieß es: „Geschlafen? Ich? Wie kommen Sie denn auf so was, Bruder? Nur<br />
weil ich mal für’n Momentchen die Augen zugehabt hab’?“<br />
Nun ja, Herr Klagegern... klagen, sich beklagen... aber ich mocht’ ihn deshalb nicht<br />
schelten, ich sah meist lediglich zu, dass ich wegkam, wenn er ankam, denn ich hatte nicht die<br />
Zeit, für ihn sie mir zu nehmen, und es hätte auch nichts gebracht, hätt’ ich sie aufgebracht,<br />
ihm mein Mitgefühl zu bekunden oder um ihn gar wissen zu lassen, dass ich ihn verstünde,<br />
denn aus dem Unverstandensein und -bleiben bezog der Mann zweifelsohne seine Lebenslust.<br />
Nun ja, Herr Klagegern... Ich ihm sein Lager erneuert, bemühte ich nun zum zweiten Mal<br />
an diesem Tag das Handwägelchen und brachte die ausrangierte Matratze runter ins Dorf und<br />
zum Bruder Böhme, dem Sattler, der seine Werkstatt unter gemeinsamem Dach mit Bruder<br />
Kurze, dem Tischlermeister, hatte.<br />
Bruder Kurze so ein klein wenig über Fuffzig, Bruder Böhme so Mitte Vierzig, so hieß<br />
es, und es hieß, die beiden, beide unverheiratet, die hingen zusammen wie die Kletten; die<br />
hätten sich gesucht und gefunden, und dies sei ein Glück, denn die müssten ja nicht nur unter<br />
ein und demselben Dach tagein, tagaus zusammen arbeiten, sondern unter selbigem Dach<br />
auch zusammen wohnen, nämlich direkt über ihrer Werkstatt; da hatte jeder von ihnen ein<br />
Zimmer. – Die Männer lebten wie zwei Mönche, wusst’ ich von Bruder John. Bescheidener<br />
und arbeitssamer kaum wer in Emmaus. Und hilfsbereiter schon gar nicht. Zu denen könnte<br />
man anbringen, was auch immer, und da könnten sie noch so viel Arbeit liegen haben, es hieße<br />
trotzdem stets und ständig: „Ja, ja, geben Sie mal her, das kriegen wir schon wieder heile.“<br />
„Nanu, Sie sind ja schon wieder da, Bruder Mathesius. Haben aber heute mächtige Sehnsucht<br />
nach uns“, empfing mich Bruder Kurze, der Tischler, sah, was ich abzuladen hatte, und<br />
rief Albert und Richard, zwei von den vier Anstaltsinsassen, die Bruder Kurze und Bruder<br />
Böhme bei der Arbeit zur Hand gingen, ihnen aber auch ansonsten unterstellt waren, denn die<br />
Vier lebten in keinem der Häuser namens soundso oder soundso, sonders als separate Wohngruppe<br />
in einem zum Quartier umgebauten, unmittelbar an die Werkstatt angrenzenden ehemaligen<br />
Stall. Was ich ebenfalls von Bruder John wusste, der sich die Bürde mit dieser<br />
Wohngruppe, wäre er Bruder Kurze oder Böhme, nicht aufgeladen hätte. So viel Nächstenliebe<br />
müsste nun auch wieder nicht sein. Denn durch diese Konstellation hätten die beiden nun<br />
überhaupt kein Privatleben mehr. Was ich bald anders sah als Bruder John, aber es dem dann<br />
nicht ausposaunte. Aber davon später, alles hübsch der Reihe nach, und jetzt wollt’ ich doch<br />
erst einmal erzählen, dass Bruder Kurze, als ich da Freitag Nachmittag ankam, Albert und<br />
Richard anwies, die von mir rangekarrte Matratze in Empfang zu nehmen. – „Nee, nee, nicht<br />
so rum, Richard. Du fass mal lieber hinten an, damit du beim Tragen vorwärts gehen kannst.<br />
Nicht, dass du wieder stolperst.“<br />
„Ick stolper nich’, Bruder Kurze. Det passiert mir doch immer nur eenmal am Tag, und<br />
det hab’ ich ja heute schon hinter mir, und det samt der Schramme.“<br />
„Tut’s noch weh?“<br />
„Ach i wo, nee, nee, Bruder Kurze.“<br />
„Na ja, aber trotzdem, lass mal lieber den Albert rückwärts gehen. Ist schon besser so.“<br />
„Na gut, wenn Sie meinen, Bruder. – Na los doch, Albert, fass an, sei nicht so faul.“<br />
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