Das Männerdorf 1 - Hermann W. Prignitzer
Das Männerdorf 1 - Hermann W. Prignitzer
Das Männerdorf 1 - Hermann W. Prignitzer
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
verzichten. Und die Ihnen zustehenden freien Sonntage sollten Sie schon gar nicht verschenken.“<br />
„Nee, nee, das war jetzt alles nur, weil mir hier doch nicht alles gleich so von der Hand<br />
ging, und eh ich was hätte liegen lassen müssen –“<br />
„– na gut, seh’ ich ein, aber ab jetzt machen Sie auch frei, wenn Sie frei haben, ja?“<br />
„Ja, ja, mach’ ich, zumal man hier ja ohnehin nicht viel Zeit für sich hat.“<br />
„Sie sagen es, Bruder Mathesius, und deshalb ist es auch nicht nötig, dass Sie abends den<br />
Herren Paechter und Lorenz unter die Arme zu greifen, schon gar nicht im Falle Boche. Auch<br />
wenn der Mann, gelinde gesagt, kein sonderlich angenehmer Zeitgenosse ist, aber trotzdem<br />
gehört es nun mal dazu, dass der den Boche zur Nacht vorbereitet, der grad Spätdienst hat.<br />
Ich habe aber gehört, Sie haben für den Boche, obwohl Sie gar nicht dran waren, einmal war<br />
es Bruder Paechter und zweimal war es der Lorenz, und trotzdem sind Sie gegangen und haben<br />
für den Boche auch gleich Ihren halben Abend geopfert. Und weil Sie’s gestern nicht<br />
gemacht haben, und er musste sich mit dem Hausvater begnügen, da hat er sie heute Morgen,<br />
als Sie an seinem Fenster vorbeigekommen sind, auch gleich richtiggehend angeschnauzt,<br />
stimmt’s?.“<br />
„Ja, aber das meint er nicht so. Der hat’s doch bloß nicht leicht mit sich. Und wenn wir<br />
ihm nun schon tagtäglich was vormachen –“<br />
„– was heißt, was vormachen, Bruder Mathesius. Boche will belogen werden. Der will an<br />
nichts anderes glauben, als dass ihn die Gicht lahmlegt. Deshalb besteht er ja auch so energisch<br />
darauf, morgens, mittags, abends mit diesem stinkenden Zeug eingerieben zu werden.<br />
Flaschenweise Schlangengift für nichts. – Gut, soll er haben, aber dass er durch Sie nun eine<br />
Extra-Portion Zuwendung erfährt... gut, ich kann ich Sie nicht daran hindern, es ist Ihre Freizeit,<br />
aber ich erzähl’ Ihnen mal was, wenn Sie mir versprechen, das bleibt unter uns.“<br />
„Ja, bleibt es.“<br />
„Und bitte auch so tun, als wüssten Sie nichts, wenn Sie mal irgendwo auf Boche angesprochen<br />
werden. Um den rankt sich nämlich eine tränenrührige Geschichte, aber an der ist<br />
garantiert nichts dran. Auch der Hausvater weiß übrigens nichts wirklich Zutreffendes. – Also<br />
hören Sie gut zu. Der Herr Boche, für den Sie so viel Mitgefühl haben, der ist hier in Emmaus<br />
im März fünfundvierzig auf einem Motorrad von der Wehrmacht angekommen. Weiter als bis<br />
hier hat es nicht gereicht, so erschöpft, wie er war. Und der Sprit war wohl auch alle, aber vor<br />
allem war der Mann kräftemäßig am Ende. Hat bei Pastor Kolbe angeklopft, dem damaligen<br />
Anstaltsleiter, und der hat ihn aufgenommen. Und dem hat er sich dann wohl auch offenbart.<br />
Wobei: was Genaues weiß keiner, das hat Pastor Kolbe mit ins Grab genommen. Aber unten<br />
der Bruder Kalkreuth, unser Schlossermeister, der Pastor Kolbes jüngste Tochter zur Frau hat,<br />
der ist fünfundvierzig von seinem Schwiegervater damit betraut worden, das Motorrad verschwinden<br />
zu lassen. <strong>Das</strong> hat er im See versenkt. <strong>Das</strong> weiß ich von Bruder Kalkreuth höchst<br />
persönlich. Und hier unsere Köchin, die Frau Matzke, die ist vierundvierzig aus Königsberg<br />
geflohen, und die ist sich sicher, Boche kam hier nicht als Herr Boche an. Den Namen hat er<br />
erst, nachdem ihm Pastor Kolbe neue Papiere verschafft hat. Seitdem heißt der Mann, den wir<br />
hier betreuen, Heinrich Boche, angeblich 1894 in Kattowitz geboren und bereits von Jugend<br />
an schwerer Epilepsie wegen von einer Klinik in die andere geraten. – Ja, ja, ist schon heftiger<br />
Tobak, aber offiziell ist Boche Epileptiker und ist hier auch nicht mit einem Motorrad gelandet.<br />
Offiziell ist er in Emmaus auf Geheiß eines mit Pastor Kolbe befreundeten Amtsbruders<br />
von einem Flüchtlingstross aus Oberschlesien abgeliefert worden. Ohne Habe und ohne Papiere.<br />
Sich nur mit Müh und Not gerettet, nachdem er in der letzten Anstalt, in der er gewesen<br />
wäre, eine nahe der polnischen Grenze, da hätte er in Notwehr einen der einrückenden russischen<br />
Soldaten erschlagen, weil der sich an ihm vergehen wollte. Und dann wäre er wochenlang<br />
herumgeirrt, und schließlich auf diesen Flüchtlingstross gestoßen. Aber wie gesagt: unsere<br />
Frau Matzke, die ist sich sicher, so war’s nicht. Der Mann hätte vor Kriegsende niemals<br />
Boche geheißen. Und der wäre auch nicht aus Oberschlesien gekommen. Frau Matzke könnt’<br />
45