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Das Männerdorf 1 - Hermann W. Prignitzer

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Besten“, sprach Bruder Lorenz, und das Wort Ordnung schien es ihm mächtig angetan zu<br />

haben, denn wie er da neben mir auf der Bank so redete und redete, da beschlich mich alsbald<br />

das Gefühl, diese Gebots- und Verbotsschilder, die da überall rumstanden und den Heimbewohnern<br />

samt ihren Besuchern kundtaten, was sie zu tun und was sie zu lassen hätten, die<br />

wären via Bruder Lorenz ins Reden gekommen. – „Glauben Sie mir, Bruder Mathesius, wenn<br />

wir nicht ständig auf Ordnung achten... Sie, die Alten können sich oft nicht einmal an die<br />

einfachsten Regeln halten, zum Beispiel hier auf den Wegen bleiben. Gibt immer wieder welche,<br />

die trampeln mutwillig über den Rasen oder in die Rabatten, und unsereiner muss dann<br />

sehen, wie er die Spuren beseitigt.“ – ‚Mein Gott, was ist denn das für einer‘, dacht ich, der<br />

ich schon denen nicht folgen mochte, die da meinten, Ordnung wäre zumindest das halbe Leben,<br />

aber diese Leutchen waren ja wohl schier harmlos verglichen mit diesem Diakon, für den<br />

die Ordnung das Leben an sich zu sein schien, zumindest das in Gottesruh und im Blick auf<br />

die Insassen. Oder nee, sein höchst privates Tun und Lassen schien er ja auch in solche Bahnen<br />

gelenkt zu haben. Dieses Ja, dieses Nein; und nix dazwischen; alles hatte seine Ordnung<br />

zu haben, und das fand ich befremdlich, war aber an diesem meinem ersten Emmaus-Abend<br />

so gegen Viertel nach neun noch allzu naiv, um übers Befremdlich-Finden hinauszukommen.<br />

Des Bruder Lorenz Gerede analysierend unter die Lupe zu nehmen, mich zu fragen, welche<br />

Bewandtnis es haben mochte, dass der Mann vor mir ausbreitete, was er vor mir ausbreitete,<br />

war mir noch nicht gegeben. Mich befremdete lediglich, wie der Kerl da neben mir redete.<br />

Und was mich schier gruselte, wenn ich es mir auch nicht anmerken ließ, das waren des Diakons<br />

unser Gespäch beendende Ausführungen, die da hießen: „Ach ja, morgen, wenn Sie hier<br />

offiziell Ihren Dienst antreten, Bruder Mathesius, dann immer dran denken: den Heimbewohnern<br />

kein Wenn und kein Aber durchgehen lassen. Denn wenn Sie so einem Alten den kleinen<br />

Finger reichen, dann reißt er ihnen binnen Kurzem den Arm raus. Die sind hier so. Lassen Sie<br />

sich nicht von dieser und jener Gebrechlichkeit täuschen. Die Gebrechlichsten sind die<br />

Schlimmsten. Die denken nämlich, sie hätten hier Narrenfreiheit. Und wenn sie dann auch<br />

noch so einen Blutjungen vor sich haben wie Sie nun mal sind, dann glauben sie erstmal, sie<br />

können sich alles rausnehmen. Riegel vorschieben, sofort einen Riegel vorschieben. Wenn es<br />

freundlich geht, dann freundlich. Wenn nicht, so einen ruhig mal anschnauzen. Die müssen<br />

von Anfang an mitkriegen, das Sagen, das haben alleine Sie. Nur so ist Ordnung zu halten,<br />

Bruder Mathesius?.“ – Ja, ja, ich nickte, und wir wünschten einander eine Gute Nacht; Bruder<br />

Lorenz zog ab Richtung Haupthaus, dem Haus 1, er hätte noch was mit Bruder John zu besprechen,<br />

der an diesem Abend Spätdienst hatte.<br />

Der Abend des 31. Juli ’62 sommerlich lau, und inzwischen war’s nahezu dunkel. Gottesruh<br />

im schmuddelig funzligen Lampenlicht. Je eine Lampe über der Tür Haus 2, Haus 3,<br />

je eine über den Haupthaus-Zugängen A bis D, zudem eine am Tor und je eine am Stall, an<br />

der Scheune auf dem Wirtschaftshof. Dadurch die Wege auf dem Anwesen grad soviel ausgeleuchtet,<br />

dass man sah, wo man hintrat. Und ansonsten... nun ja, hier und da gab’s Licht<br />

hinter den Fenstern der Heimbewohner, aber tatsächlich nur vereinzelt, obwohl’s noch nicht<br />

spät war. Und Fernseher-Lichtschein-Geflacker hinter den Fenstern des Speisesaals; der Fernsehapparat<br />

in der hintersten Ecke des Speisesaals auf einer in Mannshöhe angebrachten Konsole.<br />

Fernsehen den Heimbewohnern gestattet ab neunzehn Uhr dreißig, dem Sendebeginn der<br />

Aktuellen Kamera, der Nachrichten-Sendung des DDR-Fernsehens, und der jeweilige Spätdienst<br />

hatte darauf zu achten, dass der Insassen Fersehvergnügen Punkt zweiundzwanzig Uhr<br />

sein Ende fand. Auch dies mir Bruder Lorenz innerhalb seiner Ausführungen zur notwendigen<br />

Heimordnung ans Herz gelegt. Nur wenn da im Speisesaal mit dem Fernsehen um zehn<br />

Uhr rigoros Schluss wäre, könnten wir sicher sein, dass die Alten um halb elf auch alle im<br />

Bett lägen und zu ihrem geregelten Schlaf kämen. Den brauchten sie nun mal, ob sie das einsähen<br />

oder nicht. „Außerdem wollen wir ja schließlich auch mal unsere Ruhe haben. Der<br />

Dienst ist doch eh lang genug. Also Nächstenliebe in allen Ehren, aber uns von den Alten<br />

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