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Das Männerdorf 1 - Hermann W. Prignitzer

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offensichtlich rumtreiben dürfen, aber kam ich mal erst um eins die Nacht, und man hatte das<br />

mitgekriegt, dann wurde ich am andern Morgen zwar gefragt, wo ich denn so lange gewesen<br />

wäre, und dann gab ich Auskunft, und das klang plausibel, darauf verstand ich mich, und dem<br />

Wissensdurst meiner Eltern war Genüge getan. Aber nun saß ich in Emmaus, und kam mir<br />

irgendwie verloren vor, denn so früh am Abend mich schlafen legen, das war ich nun mal<br />

nicht gewohnt. Bezüglich der Zubettgehzeit waren meine Eltern mit mir immer großzügig<br />

verfahren, und in der allerletzten Zeit... ja, ja, da hatte ich so manchen Tag, na eigentlich nahezu<br />

jeden Tag zwar zeitig im Bett gelegen, aber nicht, um der Ruhe zu pflegen. Meine Mutter<br />

den ganzen Juni über und bis in den Juli hinein in Bad Heringsdorf zur Kur; zunächst für<br />

vier Wochen, anschließend zwei Wochen Verlängerung. Und mein Erzeuger Lorenz Mathesius<br />

darüber aus dem Häuschen, und so oft es irgend ging, naschte Bücherrevisor Koltwig kräftig<br />

mit von dem leckeren Mahl, dass ich meinem Vater Nacht für Nacht in dessen zur Hälfte<br />

verwaisten Ehebett war. Und da ich ja bald nicht mehr an die Schule denken musste, Abi in<br />

der Tasche, da konnte ich am andern Tag doch ausschlafen, und deshalb durft’ ich abends,<br />

respektive nachts nebenher und zwischendurch auch kräftig einen schnapseln. Und die Männer<br />

stundenlang nicht müde zu kriegen; das Mich-Vernaschen hatte sich so manches Mal reineweg<br />

bis drei, halb vier hingezogen. Und drei mal war die ganze Nacht draufgegangen und<br />

der Morgen war auch angeknabbert worden; aus Neustadt an der Dosse ein Berufskollege<br />

vom Koltwig zur Stippvisite in Elbberge, von Neustadt aus mit dem Taxi keine Stunde, und<br />

der betreffende Taxifahrer war auch erst am andern Tag gegen Mittag wieder zurück in Neustadt.<br />

Er und sein Fahrgast, beide so Mitte vierzig, Busenfreunde. Und einer wie der andere<br />

Freude an der Jugend, und an der meinen hatte die schier kein Ende nehmen wollen. Aber<br />

solches war nun alles in weite Ferne gerückt; ich saß in Emmaus, Altersheim Gottesruh,<br />

Haus 2, wenn man reinkam, zweites Zimmer rechts, gleich das erste hinter der Treppe zum<br />

Obergeschoss, da wo der schmalschultrige, nur so um die geschätzten Einsfünfundsechzig<br />

kleine Herr Ziegenrücker einquartiert war. – ‚Schade eigentlich, eigentlich schade, dass er<br />

schon gegangen is’. Hätt’ ruhig noch ’n Weilchen bleiben sollen‘, so dacht’ ich, denn der<br />

Mann hatte doch gewiss mächtig was zu erzählen, allein schon von seinem einstigen Kammerdiener-<strong>Das</strong>ein.<br />

Ich wusste nämlich gar nicht, dass es so was im zwanzigsten Jahrhundert<br />

überhaupt noch gegeben hatte. Dienstmädchen ja, aber Kammerdiener, damit sich irgend so’n<br />

Herr nicht allein an- und ausziehen musste? Hatte sich jedenfalls so angehört, sinnierte ich,<br />

am Schreibtisch vor Bibel, Gottesruher Heimordnung und meinem Dostojewski sitzend...<br />

hatte doch so geklungen, wenn ich mich nicht verhört hatte, als hätte Kammerdiener Emil den<br />

Herrn von... Name war mir entfallen... also diesen Adligen allmorgendlich, allabendlich mit<br />

nix gesehen, ganz und gar nackt. – Na klar, keine Frage, das hatte er gesagt, der Ziegenrücker,<br />

und auch betont, dass er sich auf dieses Vertrauensverhältnis immer noch immer mächtig was<br />

zugute hielte, und seine Freude schien er an seines Herrn ohne Scham präsentierter Blöße<br />

gehabt zu haben, der Herr Ziegenrücker. Und dass der mich beim Wecken auch nackt, jedenfalls<br />

nackt unter der Bettdecke, vorfinden würde... na ja, ich wusst’ nicht so recht, weil: so<br />

einer wie ich, der hörte ja schnell mal was raus, was womöglich auf was hinwies, weil er<br />

nichts dagegen hatte, hätte was auf was hingewiesen, nämlich auf was Spezielles, und dass<br />

der Mann schon... wie alt war er, hatte er gesagt? Zweiundsiebzig?... also schon zweiundsiebzig<br />

war und auch entsprechend angeknittert aussah, also wie am Zusammentrocknen... na ja,<br />

unter der Voraussetzung, eine Auswahl treffen zu können, hätte ich auf so einen wie den<br />

Herrn Ziegenrücker, Emil, wohl kaum mehr als einen den Mann abhakenden Blick verschwendet.<br />

Aber als ich da an diesem meinem ersten Gottesruh-Abend in dem mir zugewiesenen<br />

kahlwändigen Zimmerchen saß, und so was Erregend-Fleischiges wie dieser Kraftfahrer<br />

aus Darneute sonstwo war, jedenfalls mir nicht zur Seite... Gott ja, eh ich mir mit mir<br />

selbst genüge zu sein hatte, warum nicht stattdessen, wenn es das Männchen freute, freuen<br />

sollte... ‚Quatsch, bleib auf’m Teppich‘, rief ich mich zur Ordnung, zwölf vor elf inzwischen;<br />

der Mann, so sagt’ ich mir, hing nichts als seinem einstigen Kammerdiener-Leben nach, und<br />

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