Das Männerdorf 1 - Hermann W. Prignitzer
Das Männerdorf 1 - Hermann W. Prignitzer
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in. Also Jute Nacht, schlafen Sie jut, träumen Sie wat Feinet“, sagte Herr Ziegenrücker, der<br />
die ganze Zeit, während ich auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch gesessen hatte, stehen geblieben<br />
war, und der mir nun die Hand gab, und ich ihm meine gereicht, ihm ebenfalls Gute<br />
Nacht und guten Schlaf gewünscht, da hieß es: „Sie haben aber ’ne schöne Hand, Bruder.<br />
Hoffentlich is’ Ihnen meine da nich’ zuwider. – Nee, nee, jetzt nischt sagen, sonst verlier’ ich<br />
den Kopp, und dann verderb’ ick mir allet und werd’ wieder solo.“ – Und meine Hand kam<br />
frei, und husch-husch war er raus aus dem Zimmer, der Herr Ziegenrücker, der für mich vom<br />
nächsten Tag an, waren wir allein, ‚Opachen Emil‘ hieß, aber nicht, weil es für das Personal<br />
in Gottesruh gang und gäbe war, die Insassen in aller Regel ‚Opa‘ zu rufen, Opa statt Herr,<br />
also Opa Krause, Opa Schmengler, Opa Lohse, Opa soundso. Was ich als ein die Männer herabwürdigendes<br />
Verhalten empfand. Warum nicht mehr ‚Herr‘? Warum jetzt ‚Opa‘? So was<br />
gab es doch ‚draußen‘ auch nicht, egal wie alt Einer war. Zu welcher Kategorie Mensch wurde<br />
man denn, im Altersheim angekommen, dass allen, obwohl man ihnen absolut kein Großvater<br />
war, die Anrede ‚Herr‘ nicht mehr über die Lippen kam? – Nee, da mochte ich mich<br />
nicht einklinken, machte es deshalb nicht mit, was vom Personal nur Frau Matzke, die Köchin,<br />
verstand und von den Heimbewohnern kaum wer bemerkte, dass ich ihn mit Herr soundso<br />
anredete. <strong>Das</strong> Wissen um ihre Menschenwürde den Alten versackt, sprich: im Verwaltetwerden<br />
abtrainiert worden, was ich nicht mittragen mochte. <strong>Das</strong>s ich dennoch ‚Opachen<br />
Emil‘ sagte... nun ja, dies war lediglich das mir angebotene Pendant zu ‚Bruderchen Enkelchen‘.<br />
– „Musst noch nich’ uffwachen, Bruderchen Enkelchen, kannst dir Zeit lassen.<br />
Opachen Emil konnt’et nur nich’ erwarten, und deshalb is’et erst zehn vor fünf.“<br />
Na ja, solches ereignete sich erst am nächsten Morgen. Jetzt war Abend und es war zwei<br />
Minuten nach zehn, und ich zerrte den scheußlichen Vorhang wieder beiseite; im Haus 3,<br />
dem Haus gegenüber, nirgends mehr Licht. Aber wie ich noch so am Fenster stehe, höre ich,<br />
und gleich darauf sehe ich sie auch im funzligen Lampenlicht... da schlurfen auf dem Weg<br />
zum Haus 3 vier Männer heimwärts. Die kamen gewiss, wo sollten sie sonst herkommen?,<br />
vom Fernsehen, und nun strebten sie halt ihren Betten entgegen, schlurfenderweise einer hinterm<br />
anderen, und dass sie miteinander redeten... nee, davon hörte ich nichts, und ich hätte es<br />
garantiert gehört, hätten sie sich unterhalten; ich hörte sie ja auch schlurfen. – ‚Sonderbar‘,<br />
dacht’ ich, ‚haben grad was im Fernsehen gesehen, und keiner das Bedürfnis, drüber zu reden?<br />
Is’ man so, wenn man alt is’?‘ – Einige Augenblicke lang fand ich es grauslich, dass die<br />
alten Männer, obwohl grad gemeinsam was erlebt, nicht miteinander ins Gespräch gekommen<br />
waren. – Nun ja, ich ließ die Alten die Alten sein, egal, wie sie waren, ich packte meinen Koffer<br />
zu Ende aus, verstaute meine paar Sachen im Spind, löschte das Deckenlicht; mir reichte<br />
das Licht der Lampe, die auf dem Schreibtisch stand, an den ich mich nun setzte und auf dem<br />
lagen neben dem Buch, das ich von daheim mitgebracht hatte (Dostojewski, Der Idiot), eine<br />
Bibel und die Heimordnung. Aber weder im Einen, noch im Anderen, noch im Dritten zu lesen<br />
war ich in Stimmung, und ansonsten kam ich mir irgendwie „allein“ vor; ich war es doch<br />
von zu Hause nicht gewohnt, abends um diese Uhrzeit ohne wen dazusitzen, wenn ich nicht<br />
ohne wen dasitzen wollte. Meine Mutter übernahm nur tagsüber Taxifahrten, abends und<br />
nachts fuhr ausschließlich mein Vater; wenn es denn mal anlag. Ja, abends schon ab und an<br />
mal, aber nachts... wer im kleinstädtischen Elbberge und den paar Dörfern drum herum<br />
brauchte nachts schon ein Taxi. Und die Elbberger Kneipiers wussten, musste ein Besoffener<br />
entsorgt werden: bei Mathesius brauchten sie nicht anzuklingeln, Bier- und Schnapsleichen<br />
chauffierte mein Vater nicht; der ließ sich doch den Wagen nicht vollkotzen.<br />
Also abends saß ich zu Hause ledig allein rum, nämlich in meinem Zimmer, wenn mir<br />
was dran lag, ansonsten saß ich mit den Eltern zusammen, oder ich war unterwegs, denn seitens<br />
meiner Eltern ward zwar auf mich geachtet, aber so ab der 10. Klasse war die Leine angenehm<br />
lang, an der ich gehalten wurde. Ich musste beispielsweise nicht, wie andere Klassenkameraden,<br />
abends um Punkt soundso viel Uhr zu Hause sein. Also ich hätte mich nicht<br />
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