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Das Männerdorf 1 - Hermann W. Prignitzer

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schwören, diesen Mann zwei- oder dreimal in Königsberg gesehen zu haben. Jeweils auf einem<br />

Festbankett, für das sie gekocht hat. Und diese Festivitäten galten dem Gauleiter Ostpreußens.<br />

Nämlich seinem Geburtstag Und einer der Geburtstagsgäste unser Herr Boche. Wie<br />

er damals hieß, ist Frau Matzke entfallen, aber für eines dieser Bankette hatte man eine Kaltmamsell<br />

engagiert, die sich damit brüstete, sich in den Kreisen der Nazi-Oberen Ostpreußens<br />

bestens auszukennen. Und wenn da was dran war, dann war unser Herr Boche zu dieser Zeit<br />

ein Stellvertreter des Gauleiters. – Können Sie sich vorstellen, wie es dem ergangen wäre,<br />

wenn ihn fünfundvierzig die Russen erwischt hätten?“<br />

„Ja, das kann ich mir vorstellen. Den dürften sie wohl heut noch nicht erwischen.“<br />

„Kann sein. Obwohl er in seinem Zustand wahrscheinlich nichts mehr zu befürchten hätte.<br />

Und außerdem hat Gott den Mann ja längst abgeurteilt. Lebenslängliches Verrecken bei<br />

lebenslänglichem Begrabensein. Denn was anderes ist diese mysteriöse Nervenkrankheit ja<br />

nicht, die dem Boche unausweichlich die Knochen zerfrißt. Irgendwann wird er wohl nicht<br />

mal mehr den kleinen Finger bewegen können.“<br />

„Aber war denn das mit der Krankheit fünfundvierzig schon abzusehen, als er hier mit<br />

neuer Identität untertauchen durfte?“<br />

„Nein, war es nicht.“<br />

„Und warum hat Pastor Kolbe den Nazi trotzdem geschützt?“<br />

„Der hat nicht den Nazi geschützt, der hat einem Menschen geholfen, der in Not war. So<br />

selbstverständlich, wie er Menschen geholfen hat, als solche wie der Boche an der Macht waren.<br />

Da hat sich Pastor Kolbe nämlich so strikt wie erfolgreich geweigert, auch nur einen der<br />

Emmaus-Insassen der Euthanasie zu opfern. Die waren ihm von Gott als Menschen in Not<br />

zugeführt worden, also trat er für sie ein, und nun war wieder ein Mensch in Not. Die hatte<br />

sich der zwar letztlich selbst zuzuschreiben, aber Pastor Kolbe sah in dem Mann trotzdem<br />

seinen in Not geratenen Nächsten, ihm von Gott überantwortet. Und für Pastor Kolbe galt<br />

ohne Ausnahme das fünfte Gebot: Du sollst nicht töten. Und ein ehemaliger stellvertretender<br />

Gauleiter, ein SS-Mann, hat Frau Matzke gesagt, das war einer von der SS und mindestens<br />

einer im Range eines Obersturmbannführers, und so einen hätten die Russen, wenn sie ihn<br />

erwischt hätten, vermutlich ohne viel Federlesen erschossen. Aber den Tod eines Menschen<br />

mit zu verantworten steht einem Christen nicht zu. Und so was in der Art wird Pastor Kolbe<br />

wohl bewegt haben, als er sich entschieden hat, den Mann hier aufzunehmen. Boche durfte<br />

untertauchen. Zunächst monatelang unten in der Krankenstation, und da von allem Anstaltskram<br />

abgeschottet, als läge er in Quarantäne. Und Anfang sechsundvierzig, die Russen sich<br />

aus unserer Gegend verzogen, wurde er dann hier oben in Gottesruh einquartiert. In dem<br />

Zimmer, in dem er heute noch hockt. Und eingewiesen wurde er bei uns mit dem Hinweis:<br />

Einzelzimmer unabdingbar, und kam kam die Geschichte von der Notwehr und dass Herr<br />

Boche, um seine Sicherheit zu gewährleisten, sich nicht außerhalb das Hauses zu bewegen<br />

brauchte, das Essen wäre dem Mann stets und ständig auf dem Zimmer zu servieren. Was zur<br />

Folge hatte, dass Boche am hellichten Tag kein einziges Mal vor die Tür getreten ist. Wenn er<br />

rausging, dann nachts. Als er noch laufen konnte, versteht sich, aber das konnte er noch eine<br />

lange Weile. Diese sonderbare Zerrüttung der Nerven hat sich ja nicht gleich bemerkbar gemacht.“<br />

„<strong>Das</strong> heißt, als ihn diese Krankheit noch nich’ am Laufen gehindert hat, da durft’ er<br />

nachts jederzeit raus?“<br />

„Ja, so war das von Pastor Kolbe verfügt worden. Für Boche, damit er an die Luft käme,<br />

gälte die Nachtruhe nicht.“<br />

„Und was war nun mit der Epilepsie?“<br />

„Na gar nichts. Auf entsprechende Anfälle warten wir heute noch. Oder auch nicht. – So,<br />

nun wissen Sie’s. Und nun hätte ich gern von Ihnen gewusst, ob Sie sich schon mal gefragt<br />

haben, warum der Mann abends immer ausgerechnet von Ihnen ins Bett gebracht werden<br />

möchte.“<br />

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