Das Männerdorf 1 - Hermann W. Prignitzer
Das Männerdorf 1 - Hermann W. Prignitzer
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war’s, als ich in Gottesruh ankam, und in meinem Haus mir entgegen kam der Herr Baruth:<br />
„Gucken Sie mal oben in die Toilette, Bruder. Da hat eener danebengeschissen.“<br />
„Ja gut, ich kümmere mich drum.“ – Und mich drum gekümmert, die Schweinerei beseitigt,<br />
war’s drei Minuten vor sechs: Zeit, das Essen auszuteilen; und in der Küche treff’ ich<br />
Bruder Seibold, und der meint, wenn ich mal wieder ’ne Matratze auszuwechseln hätte, dann<br />
sollt’ ich ihm Bescheid sagen. „Schinden Sie sich ja nicht noch mal allein damit, oder wollen<br />
Sie sich unbedingt einen Leistenbruch zuziehen?“<br />
„Kommen Sie, so schlimm war es nun auch wieder nicht. Außerdem: woher wissen Sie<br />
das eigentlich? Haben Sie mich geseh’n?“<br />
„Nee, sonst hätt’ ich ja wohl mit angepackt.“<br />
„Ach so, dann wissen Sie’s von Bruder John“, bei dem ich mich abgemeldet hatte, bevor<br />
ich runter ins Dorf bin, und da hatte der, mich gefragt, ob mir wer geholfen hätte, und ich gemeint,<br />
das wäre nicht nötig gewesen, zwar nichts gesagt außer: „So, so –“, aber nun hört’ ich,<br />
er hatte Bruder Seibold auf mich angesetzt, weil „jung zu jung“ vielleicht mehr ausrichtete,<br />
als wenn er, Bruder John immer gleich was sagte, sagte Bruder Seibold, worauf ich nun mit<br />
„So, so –“ reagierte.<br />
„Wieso, was gibt’s dagegen zu sagen, Bruder Mathesius? Seien Sie mal froh, dass hier<br />
wer auf Sie achtet. Haben Sie heute eigentlich endlich ’ne Mittagspause gemacht?“<br />
„Ja, hab’ ich, können Sie Bruder John ausrichten.“<br />
„Kommen Sie, der meint es nur gut mit Ihnen. Und ich auch.“<br />
„Ja, weiß ich doch –“, sagt’ ich und zog ab mit den Tabletts für Haus 1, um dort jene abzufüttern,<br />
denen es, den Speisesaal zu erreichen, an Kraft gebrach. – „Guten Abend, Herr Lademann,<br />
gibt was zu essen.“<br />
„Jetzt schon?“<br />
„Wieso ‚jetzt schon‘? Gucken Sie mal zur Uhr, is’ Abendbrotzeit.“<br />
„Ja, ja, is’ Abendbrotzeit, und was heißt das? Glauben Sie wirklich, dass ’n Mensch immer<br />
punktum zur selben Zeit Hunger hat? Aber hier musste, ob du willst oder nich’.“<br />
„<strong>Das</strong> geht nich’ anders, Herr Lademann.“<br />
„Wieso geht das nich’ anders? Früher bei mir zu Hause ging es doch auch. Da is’ meine<br />
Frau angekommen und hat gefragt: ‚Wie is’et, Emil, haste Hunger, wollen wir schon essen<br />
oder hat det noch Zeit?‘ Und dann wurd’ sich abgestimmt.“<br />
„<strong>Das</strong> lässt sich hier aber nich’ machen, Herr Lademann. Wir können nich’ auf jeden einzeln<br />
gucken.“<br />
„Ja, ja, lieber guckt Ihr auf gar keenen. Na ja, nischt für ungut, Bruder, nun geben Sie den<br />
Fraß schon her. Ich werd’ ihn schon runterwürgen, damit Sie nachher auch ja wieder rechtzeitig<br />
zu Ihrem Geschirr kommen. Det is’ nämlich auch so wat, wat nich’ nötig täte. Warum<br />
kann ich nich’ jetzt ’ne Stulle essen, und die andre ess’ ich vielleicht um neun?“<br />
„Weil sie in der Küche auf den Abwasch warten. Wenn der bis andern Morgen stehen<br />
bliebe –“<br />
„– ja, ja, dann hätten sie in der Küche vormittags zu viel zu tun. Det Lied kenn’ ich, det<br />
hab ich schon oft genug gehört. Aber nun verweilen Sie mal nich’ länger, nich’ dass Sie meinetwegen<br />
noch Ärger kriegen.“<br />
Und also zog ich weiter, husch, husch, die Zeit mir im Nacken, und zum x-ten Male wurde<br />
mir Neunzehnjährigem angst und bange, womöglich so alt werden zu müssen, dass ich um<br />
ein Altersheim nicht herumkäme.<br />
11<br />
Spätdienst, und ich lasse Herrn Boche wieder rauchen, und Herr Boche den ersten Zug<br />
getan, tief inhaliert, geräuschvoll ausgeatmet, da heißt es: „Wie ist es, Junge, kann ich nachher<br />
mit dir rechnen?“<br />
„Nee, Herr Boche, heut nich’ gleich wieder.“<br />
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