Das Männerdorf 1 - Hermann W. Prignitzer
Das Männerdorf 1 - Hermann W. Prignitzer
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„Und wie oft sehen Sie Ihre Verlobte?“<br />
„Na immer, wenn ich frei habe. Dann fahr ich nach Berlin. Mal nachmittags, mal sonntags,<br />
immer im Wechsel. Na so, wie Sie auch frei haben. Öfter kommen wir Diakone hier<br />
auch nicht weg.“<br />
„Dann sehen Sie ihre Verlobte ja wirklich selten.“<br />
„Ach Gott ja, das hört sich so an, aber im Grunde ist es eigentlich ausreichend. Gundel ist<br />
noch eine von altem Schrot und Korn, die ist nicht, wie andere heutzutage so sind. Der ist die<br />
Ehe noch was Heiliges. Und in die möchte sie unbefleckt gehen, wenn Sie verstehen, was ich<br />
meine.“<br />
„Ja, ja, ich verstehe: also nichts vor der Hochzeit.“<br />
„Richtig, nichts vor der Trauung. Na ja, und dadurch reicht die Zeit eigentlich, die wir<br />
momentan zusammen haben. Da erzähl’ ich, was hier so inzwischen wieder los war, und sie<br />
erzählt, was sie die Woche über im Stift so erlebt hat. Und dadurch ist die Zeit dann auch immer<br />
ruckzuck um. Jedenfalls an den freien Nachmittagen. Sonntags zieht es sich, ehrlich gesagt,<br />
immer ein bisschen, wenn Sie die ganze Zeit nur Händchen halten können und... na ja,<br />
mal einen Kuss, aber keinen tiefergehenden, also nichts mit der Zunge, nicht dass ich doch<br />
mal in Versuchung komme.“<br />
„Oder Ihre Verlobte.“<br />
„Gundel? Nein, nein, die nicht, die ist standhaft. Und ich eigentlich auch. Lieber ein reines<br />
Gewissen haben, als schon dem Geschlechtlichem zu frönen. Davon sollte man sich meines<br />
Erachtens sowieso so lange wie möglich fernhalten. Würde ich Ihnen auch raten.“<br />
„Zu spät.“<br />
„Ach so?“<br />
„Ja, ja, das hätten Sie mir ein paar Jahre früher raten müssen.“<br />
„Aber sind Sie nicht erst neunzehn?“<br />
„Ja und? Hatten Sie mit neunzehn noch nie was.“<br />
„Nein.“<br />
„Sondern ab wann?“<br />
„Also ehrlich gesagt, ich warte auch auf die Ehe, genauso wie Gundel. Aber ich finde,<br />
wir sollten das Thema wechseln. Ich wohne übrigens da oben in Haus 3 unterm Dach. Mein<br />
Fenster geht aber zur anderen Seite raus. Nicht zu Ihrem Haus hin.“<br />
„Sind die beiden Häuser gleich gebaut?“<br />
„Ja, ja, vollkommen gleich, nur ist das Zimmer, in dem Sie hier unten wohnen, in meinem<br />
Haus von einem der Alten belegt. Der braucht ein Einzelzimmer. Und davon gibt’s in<br />
den beiden Häusern jeweils nur eins. Na und dann jeweils die Zimmer unterm Dach, aber die<br />
sind für den Heimbewohnerbereich nicht geeignet. Da kommt man nur auf so einer Art Hühnerstiege<br />
hoch. Finde ich aber romantisch. Außerdem werde ich dadurch nachts nicht gestört.<br />
Bis dahin verirrt sich keiner der Alten. <strong>Das</strong> werden Sie anders erleben, wo sie Wand an Wand<br />
mit denen wohnen.“<br />
„Und wenn die Alten nachts mal was brauchen.“<br />
„Die haben nachts nicht zu brauchen. Abends zwischen zehn und halb elf, da wird vom<br />
Spätdienst noch mal nach den Pflegefällen geguckt, und dann hat Ruhe zu herrschen, ist<br />
Schlafenszeit.“<br />
„So richtig mit Licht aus und so?“<br />
„Na selbstverständlich. Ordnung ist das wichtigste, wenn so eine Einrichtung wie die hier<br />
nicht aus allen Fugen geraten soll. Und das passiert schnell, lassen Sie da ja nichts einreißen,<br />
sonst tanzen Ihnen die Alten irgendwann auf dem Kopf rum. Außerdem gehen Sie vor lauter<br />
Arbeit bald in die Knie, wenn Sie hier jedem eine Extra-Wurst braten wollen. Die hat auch<br />
gar keiner nötig, hier hat jeder, was er braucht. Was sie leider nicht immer einsehen. Im Alter<br />
wird man nun mal störrisch. Aber da müssen wir gegenhalten, hilft alles nichts. Die Leutchen<br />
hier brauchen zu allererst ihre Ordnung. Notfalls gegen ihren Willen. Ist alles nur zu ihrem<br />
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