Das Männerdorf 1 - Hermann W. Prignitzer
Das Männerdorf 1 - Hermann W. Prignitzer
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ausnutzen zu lassen, gehört nun wahrlich nicht zu unseren Pflichten. Eines nie vergessen,<br />
Bruder Mathesius, die sind alle freiwillig hier, keiner hat sie gezwungen, hier zu leben.“ –<br />
Konnt’ sein, musste nicht sein; konnt’ ich aber an diesem Abend nicht beurteilen, an dem ich<br />
nun so kurz nach halb zehn in mein Zimmer ging. Haus zwei, zweite Tür links im Erdgeschossflur,<br />
gleich hinter der Wendeltreppe zum Obergeschoss. <strong>Das</strong> einfenstrige Zimmer<br />
schmal, aber mit allem ausgestattet, was ich so brauchte. Gleich wenn man reinkam ein Spind,<br />
dann das Bett, eisernes Bettgestell, Krankenhausbett wie die Betten in allen Zimmern, dann<br />
eine kleine Kommode, ihr gegenüber eine Nische, sich baulich wohl ergeben durch die im<br />
Flur ans Zimmer angrenzende Treppe, und in dieser Nische ein kleiner Schreibtisch, davor ein<br />
Stuhl, daneben ein da und dort bereits zerschlissener Ledersessel. <strong>Das</strong> Fenster gardinenlos wie<br />
alle Fenster aller Häuser, und wie an allen Fenstern aller Häuser so auch an meinem Fenster<br />
ein Vorhang; ihn zuzuziehen ließ ich erst einmal bleiben. Der Stoff allzu potthässlich bedruckt:<br />
großblumig; flatschengroße weiße Chrysanthemenblüten auf fahlem Orange. Und die<br />
Wände kahl, die Tapete zart grün-gelb-streifig. <strong>Das</strong> war des Altersheims Einheitstapete, wie<br />
ich Tags darauf sah, ich den Dienst angetreten, von dem ich mir an diesem meinem ersten<br />
Emmaus-Abend noch keine rechte Vorstellung machte, denn es hatte vom Hausvater geheißen,<br />
in alles Nötige eingewiesen würde ich erst morgen; morgen würde mir Bruder John in<br />
seiner Eigenschaft als Leitender Diakon alles zeigen, was zu zeigen so anläge.<br />
Nun ja, also morgen, Dienstbeginn sechs Uhr fünfzehn; na eigentlich sechs Uhr dreißig,<br />
aber man begänne den Dienst allmorgendlich, außer sonntags, mit einer Andacht des Personals<br />
im Büro des Hausvaters. Solch geistliches Rüstzeug ertüchtige uns alle, fröhlichen Herzens<br />
zu schaffen im Geiste der Nächstenliebe. – Na gut, warum nicht. Auf eine Viertelstunde<br />
Schlaf mehr oder weniger kam es nun auch nicht mehr an. Für mich, für den die Morgenstunde<br />
nie Gold im Munde hatte und ich zudem bis dato ein bequemes Oberschülerchenleben geführt,<br />
zwanzig nach sieben aus dem Bett, Katzenwäsche, flinkes Frühstück, Schulweg sieben<br />
Minuten... also für mich, dran gewöhnt, kaum mal vor morgens acht irgendwo präsent sein zu<br />
müssen, war der Gottesruher Dienstbeginn so oder so eine Herausforderung. Mal abwarten,<br />
wie lange es brauchte, bis ich mich dran gewöhnt hatte. Und ich hoffte, dass ich anfangs nicht<br />
allzu oft verschliefe, zumal ich nicht gewohnt war, dass ein Wecker mich weckte; zu Hause<br />
mich Mutter oder Vater geweckt, und dies hübsch behutsam, ausgesprochen sanft. Mit einem<br />
gerüttelt Maß an Streicheleinheiten, war Mutter mich wecken gekommen, und war’s Vater,<br />
der mich aus dem Schlaf zu holen Zeit gehabt hatte, dann war ich die letzten drei Jahre stets<br />
und ständig durch eine mein Gemächt unter der Bettdecke begrabbelnden Hand. erwacht. Und<br />
wenn es dann geheißen hatte: „Mutti is’ unterwegs, hat schon ’ne Tour“, dann hatte das auch<br />
geheißen... na, was wohl?... „Lass dich mal fix, Sohnemann. Geht ruckzuck, so’n Druck wie<br />
ich hab’. Mit Mutti war die Nacht schon wieder nischt zu machen.“<br />
Gott ja, alle Wetter!, so ließ sich nicht übel in den Tag kommen, aber das war ja nun ein<br />
für allemal das Leben von gestern, weil das in Elbberge, und Elbberge war weit, jetzt saß ich<br />
in Emmaus, „Betriebsteil“ Gottesruh, und daran hieß es sich gewöhnen, und ich hoffte, das<br />
würde mir in der ersten Zeit nicht allzu oft misslingen, zu ungewohnt früher Stunde aus mir<br />
heraus pünktlich in den Tag zu gelangen. – ‚Na ja, immer rankommen lassen‘, dacht’ ich,<br />
‚wird schon irgendwie werden‘, und siehe, es wurde, und nicht nur irgendwie, denn wie ich so<br />
am ersten Abend, ins Zimmer gekommen, mein Köfferchen auspacke, klopft es an der Tür,<br />
ich lerne den ersten Heimbewohner ausführlicher kennen; ein auffällig kleines, auffällig<br />
schmächtiges, auffällig pfiffigäugiges Männlein; ich dachte’ auf Anhieb ans tapfere Schneiderlein,<br />
und das stellte sich mir nun als Herr Ziegenrücker, Emil, vor, „oben letztet Zimmer<br />
rechts, da wo auch der Klettke wohnt, aber der pennt längst, und nun entschuldigen Sie mal<br />
die Störung, Bruder, aber ich hätte ihnen wat anzubieten, vorausgesetzt... nee, ziehn’se mal<br />
erst den Vorhang zu, damit’ma von da draußen keener sieht. Det jibt sonst bloß böset Blut.<br />
Hier is’ doch eener auf’n andern schiebig. Wenn da wer wat mitkriegt, det heißt doch gleich,<br />
ick will ma bei Ihnen anschmier’n. Na los, zieh’n Sie mal zu, Bruder.“<br />
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