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Stele und Legende - Oapen

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Der „literarische narû“ als Definitionsproblem 125<br />

von narû – als Bezeichnung der KÇnigsinschrift <strong>und</strong> als Selbstbezeichnung<br />

„historisch-epischer“ narûs – erkennt Pongratz-Leisten im „normativen Charakter“,<br />

der das offiziell verlautbarte Wort des KÇnigs auszeichnet. 78<br />

Das Anliegen tatsÖchlicher KÇnigsinschriften war es, „mit der eigenen Biographie<br />

der Éberzeitlichen Ideologie des mesopotamischen KÇnigtums zu entsprechen“.<br />

Sie „besitzen somit rein rechtfertigenden, selbstlegitimierenden <strong>und</strong><br />

selbstpreisenden Charakter“. 79 Eine weitere, von Pongratz-Leisten auÑer Acht<br />

gelassene Funktion war das Bilden <strong>und</strong> Verbreiten neuer ideologischer Normen,<br />

die allerdings ebenfalls im Dienste konkreter Herrschaftsinteressen standen – ein<br />

Beispiel wÖre etwa die VergÇttlichung des KÇnigs, die in der mesopotamischen<br />

Geschichte trotz aller engen Beziehungen des KÇnigs zur GÇtterwelt eine Ausnahmeerscheinung<br />

blieb. Die Darstellung <strong>und</strong> bejahende Feier einer Ideologie<br />

<strong>und</strong> ihre mehr oder minder behutsame Umgestaltung bleiben zwei Seiten<br />

derselben Medaille: In beiden FÖllen gilt das normative Wort des KÇnigs im<br />

Rahmen der vom Text geschaffenen Welt uneingeschrÖnkt <strong>und</strong> kennt keine<br />

anderen, kritischen Perspektiven neben sich.<br />

Normativ wollen nach Pongratz-Leisten auch die „historisch-epischen“ narûs<br />

wirksam werden, indem sie eine bestimmte moralische Quintessenz propagieren.<br />

Am Fallbeispiel der jungbabylonischen Kuta-<strong>Legende</strong> zeigt Pongratz-Leisten<br />

allerdings auf, dass die „historisch-epischen“ narûs auch wesentlich anders<br />

funktionieren konnten. So ist in ihnen anders als in tatsÖchlichen KÇnigsinschriften<br />

die MÇglichkeit der kritischen Hinterfragung kÇniglichen Handelns<br />

gegeben. In der Kuta-<strong>Legende</strong> wird Narām-SÅn nicht als unfehlbarer KÇnig <strong>und</strong><br />

treuer Diener seiner GÇtter dargestellt, sondern als ein Mann „der Introspektion“<br />

<strong>und</strong> „Reflexion“, der zunÖchst die von den GÇttern durch ihre Omina vorgezeichneten<br />

Pfade missachtet, tragisch scheitert <strong>und</strong> am Ende aus seinem katastrophalen<br />

Versagen gelÖutert hervorgeht. 80 WÖhrend die KÇnigsinschriften generell<br />

die LegitimitÖt des kÇniglichen Auftraggebers der Inschrift rechtfertigen <strong>und</strong><br />

unterstreichen, wird in der Kuta-<strong>Legende</strong> die LegitimitÖt des KÇnigs reflektiert<br />

<strong>und</strong> kategorisch auf die WillkÉr der GÇtter zurÉckgefÉhrt, die ihre Gunst<br />

unvorhersehbar zuwenden oder entziehen kÇnnen.<br />

Die Verschiedenartigkeit der literarischen Funktionen der KÇnigsinschriften<br />

<strong>und</strong> der „historisch-epischen“ narûs korrespondiert mit Pongratz-Leistens<br />

Redeweise von zwei verschiedenen „Textgattungen“. 81 Beide Gattungen stellen<br />

fÉr sie jedoch lediglich moderne, kritische Beschreibungsinstrumente dar, denn<br />

fÉr den literarischen Horizont der zeitgenÇssischen Mesopotamier postuliert sie<br />

eine weitgehende GleichfÇrmigkeit der Östhetischen Wahrnehmung. So stellt sie<br />

78 Vgl. ibid. 87; 77.<br />

79 ibid. 87.<br />

80 Vgl. ibid. 86.<br />

81 Vgl. ibid. 87.

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