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Stele und Legende - Oapen

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Literarische FiktionalitÇt im alten Orient 155<br />

Fiktionaler Diskurs ist demnach allemal ein inszenierter Diskurs, der Rollenspiel<br />

seitens des Autors <strong>und</strong> seitens des Rezipienten voraussetzt. Diese Voraussetzung<br />

ist dabei zugleich das entscheidende FiktionalitÇtskriterium. (ibid.)<br />

Den eingeforderten Nutzen des fiktionalen Spiels identifiziert Warning mit H.<br />

Plessners Charakterisierung der Leistung allen Rollen-Spiels als „anthropologischen<br />

Dimensionsgewinn“. 47 Dieses Konzept ist im Wesentlichen identisch<br />

mit Isers funktionaler Bestimmung des Fiktiven als „GrenzÅberschreitung“ bzw.<br />

„Extension des Menschen“, d. h. die MÄglichkeit, Åber die subjektive Erfahrung<br />

seiner selbst hinaus sein <strong>und</strong> ein Anderer werden zu kÄnnen. WÇhrend bei der<br />

sozialen Rolle ihre habituelle Wirksamkeit als gesellschaftlich sanktioniertes<br />

Identifikationsmuster zumeist verhÅllt <strong>und</strong> damit unreflektiert bleibt, rÇumt Warning<br />

wie Jauà der fiktional gespielten Rolle den Ehrenplatz der distanziert<br />

reflektierten Rolle ein: Sie wird als Thematisierung sozialer Rollen zur „Schule<br />

der Distanznahme“ <strong>und</strong> zum „Erkenntnismodell“. 48<br />

Der Zirkel von Fiktion, Spiel <strong>und</strong> Çsthetischer Rolle, in dem sich Warnings<br />

FiktionalitÇtsmodell bewegt, ist der funktionalen Beschreibung bewusstgehaltener<br />

Fiktionen wohl angemessen, in Hinblick auf eine anthropologisch f<strong>und</strong>ierte<br />

Definition der Fiktion jedoch unÅbersehbar tautologisch, da alle Komponenten<br />

dieses Zirkels einander wechselseitig definieren. Die anthropologische Disposition<br />

des Menschen als rollenspielender DoppelgÇnger erhellt zwar die FunktionalitÇt<br />

der Fiktion als imaginative Fremderfahrung von Rollen. Die historische<br />

RÅckschau kann jedoch keineswegs verbÅrgen, dass Fiktionen dort, wo sie in<br />

kommunikationspragmatischer Situationsspaltung erscheinen <strong>und</strong> also Fiktionssignale<br />

aufweisen, Åberall auch als inszenierte, zur Reflexion auffordernde<br />

Thematisierung der eigenen Welt bewusst gehalten wurden. „Fiktionale Kontrakte“,<br />

die die FiktionalitÇt zum integralen Bestandteil der kritischen Rezeption<br />

machen, lassen sich, wie bereits gezeigt wurde, historisch erst relativ spÇt nachweisen.<br />

Der Theoretiker, der eine ihm fremde literarische Kultur funktional zu<br />

beschreiben versucht, wird daher das seinem eigenen Verstehenshorizont entspringende<br />

Urteil darÅber, was als pragmatisch situationsgespaltener <strong>und</strong> also als<br />

fiktionaler Diskurs zu analysieren ist, nicht entlassen kÄnnen. So ist es nicht<br />

damit getan, schlicht zu konstatieren:<br />

Es scheint daher auch sinnnlos, sich zu fragen, was passiert, wenn Fiktion nicht<br />

als Fiktion rezipiert wird, wenn also Åber dem „Sich-identifizieren-mit“ das<br />

„Identifizieren-als“ verloren geht. Denn in solchen FÇllen liegt ganz einfach eine<br />

Verletzung des fiktionalen Kontrakts <strong>und</strong> also eine Fehlrezeption vor. (Funktionen<br />

des Fiktiven, 204f.)<br />

47 Vgl. ibid., 203.<br />

48 Vgl. ibid., 204 f.

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