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Stele und Legende - Oapen

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136 Literarische FiktionalitÇt im alten Orient<br />

6.1.1. Vaihingers „Philosophie des Als Ob“<br />

Ein spÇter Vertreter positivistischer Denkmodelle zum VerhÇltnis von RealitÇt<br />

<strong>und</strong> Fiktion ist die „Philosophie des Als Ob“ von Hans Vaihinger. 2 WÇhrend die<br />

Gr<strong>und</strong>lage dieser Philosophie noch die Spaltung der gegebenen Welt in Subjekt<br />

<strong>und</strong> Objekt ist, fÅhrt in ihr die ÅbermÇchtig gewordene Erkenntnisskepsis zum<br />

RÅckzug des Realen in die SensitivitÇt der Kreatur: „Wirklich ist nur das<br />

Empf<strong>und</strong>ene, das in der Wahrnehmung uns Entgegentretende, sei es innerer oder<br />

Çuàerer Natur“. 3 Der einzig gewissen RealitÇt der Empfindungen, die durch<br />

WahrnehmungseindrÅcke angeregt werden, steht eine erkenntnistheoretisch<br />

uneinholbar gewordene „unmittelbare Wirklichkeit“ entgegen, die weitgehend<br />

gestaltlos geworden, wenn nicht gar zur Kontingenz verschwommen ist. Die<br />

„unmittelbare Wirklichkeit“ fungiert zwar als Çuàerer Anstoà der differenzierten<br />

Empfindungen bzw. WahrnehmungseindrÅcke, diese aber werden von der<br />

menschlichen Psyche bereits im Wahrnehmungsprozess bearbeitet <strong>und</strong> nach<br />

ererbten <strong>und</strong> erlernten Erfahrungen, „abgelagertem Wissen“, 4 mit Vorstellungen<br />

Åberzogen – sie werden interpretiert. Ohne ihre Bearbeitung wÇre keine Orientierung<br />

<strong>und</strong> kein Bewusstsein Åber wahrgenommene ZustÇnde <strong>und</strong> Prozesse<br />

mÄglich. Der rudimentÇre Rest letztf<strong>und</strong>ierter RealitÇt, die „unmittelbare Wirklichkeit“<br />

<strong>und</strong> die durch sie affizierten „Empfindungen“, ist im Vaihingerschen<br />

Modell gr<strong>und</strong>sÇtzlich nur vermittelt erfahrbar; er wird zwangslÇufig Åberlagert<br />

von den psychischen Konstrukten, in die sich die unmittelbare Wirklichkeit<br />

Åbersetzt <strong>und</strong> die sich dem Menschen dann als Welt darstellen. Die Bearbeitung<br />

der Empfindungen gestaltet sich dabei als ein Zurechtmachen, das dazu dient,<br />

die unerschlieàbare RealitÇt fÅr verschiedentliche Zwecke verfÅgbar zu machen.<br />

Im entwicklungsgeschichtlichen Prozess des Geistes beurteilen sich die Vorstellungen<br />

daher nicht nach abstrakten WahrheitsprÇdikaten, sondern allein nach<br />

ihrem operationalen Erfolg: Sind sie zielfÅhrend, wird ihnen erst in zweiter<br />

Instanz „Wahrheit“ zuerkannt.<br />

Vaihinger unterscheidet drei Status, in denen die psychischen Konstrukte, die<br />

die Wahrnehmung der Welt konstituieren, erscheinen kÄnnen: Dogma, Hypothese<br />

<strong>und</strong> Fiktion. Im Dogma ist die Vorstellung mit der RealitÇt identifiziert, sie<br />

wird als Wahrheit begriffen. Die als Hypothese aufgefasste Vorstellung ist lediglich<br />

eine Annahme, deren Wahrheit noch verifiziert werden muss. Ihr operatives<br />

Potential fuàt auf ihrer Verbindung mit der dogmatischen Vorstellung, deren<br />

noch ungeschÅtzte Extension sie ist <strong>und</strong> die ihr damit als Gr<strong>und</strong>lage dient. Ist sie<br />

2 Hans Vaihinger, Die Philosophie des Als Ob. System der theoretischen, praktischen<br />

<strong>und</strong> religiösen Fiktionen der Menschheit auf Gr<strong>und</strong> eines idealistischen Positivismus<br />

(Leipzig 1911), ausfÅhrlich diskutiert von W. Iser, Das Fiktive <strong>und</strong> das Imaginäre, 226–<br />

261.<br />

3 H. Vaihinger, ibid. 186, zitiert nach W. Iser, Das Fiktive <strong>und</strong> das Imaginäre, 230.<br />

4 W. Iser, ibid. 232.

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