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Stele und Legende - Oapen

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150 Literarische FiktionalitÇt im alten Orient<br />

trotz dieser augenfÇlligen Merkmale auch als „Fiktionen“ bzw. „inszenierte<br />

Diskurse“ wie die SchwÇnke begriffen worden, als faktisch unwahre ErzÇhlungen,<br />

die lediglich von einer hÄheren, dichterischen Wahrheit getragen sind?<br />

FÅr eine Epoche, die dem abendlÇndischen Prozess der Positivierung literarischer<br />

FiktionalitÇt weit voraus liegt, in der sich keinerlei Spuren fÅr eine „Wahrheitsdebatte“<br />

Çhnlich der spÇtmittelalterlichen finden lassen, ja, die nicht einmal<br />

Åber ein Wort fÅr „Fiktion“ verfÅgte (allenfalls das sumerische lu l bzw. das<br />

akkadische surrātu fÅr „falsch“ kÇmen hier in Betracht, die jedoch beide nirgends<br />

auf den literarischen Artefakt, geschweige denn positiviert, angewandt<br />

nachzuweisen sind), 37 erscheint eine solche Annahme als nur schwer vorstellbar,<br />

ja, als kapitaler Anachronismus. Vielmehr ist anzunehmen, dass die ErzÇhlungen<br />

zumindest ihrem Inhalt <strong>und</strong> ihren Botschaften nach – trotz gewisser gestalterischer<br />

Freiheiten, die dem Dichter wohl zustanden – als unterschiedslos „wahr“,<br />

als „Geschichte“ aufgefasst wurden. Gattungen <strong>und</strong> besondere Rezeptionssituationen<br />

– ein versammeltes Publikum vor einem SÇnger/ErzÇhler oder die<br />

dramatische Darstellung eines fiktionalen Geschehens – bedingten zwar rezeptive<br />

EinstellungsÇnderungen, doch muss damit kein kritisches Bewusstsein fÅr<br />

das „Als Ob“ der prÇsentierten Fiktion einhergegangen sein. 38<br />

Ob“ ins Bewusstsein einstellen, allerdings Zweifel angebracht sind, ob sich diese Bewusstwerdung<br />

im alten Orient tatsÇchlich vollzog <strong>und</strong> wenn, wie hÇufig dies geschah.<br />

Das fast vÄllige Fehlen metasprachlicher Diskurse Åber die Literatur macht Urteile Åber<br />

diese Frage praktisch kaum mÄglich.<br />

37 surrātu findet sich lediglich in Formulierungen in altakkadischen KÄnigsinschriften,<br />

in denen der KÄnig beteuert, dass seine berichteten Taten auch wirklich wahr seien: lā<br />

surrātim lū kīnišma „(Ich schwÄre), es sind keine LÅgen, ganz gewiss“ (vgl. die Belege<br />

B. Kienast, FAOS 8 [1994], 272b). Ferner wurde mit surrātu „LÅgen“ die FÇlschung,<br />

Verletzung oder Missachtung von VertrÇgen qualifiziert (vgl. CAD S 409).<br />

38 H. U. Gumbrecht hat denselben Schluss fÅr den hÄfischen Roman des 12. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

gezogen, der genau auf der Epochenschwelle zur bewussten Affirmation literarischer<br />

FiktionalitÇt angesiedelt ist: „Weil die AbhÇngigkeit der literarischen Rezeptionshaltung<br />

von der (meist durch Selbstverweis erleichterten) Wahrnehmung des fiktionalen<br />

Charakters von Texten zu einer Institution neuzeitlicher Lesekultur geworden<br />

ist, liegt der hermeneutisch nicht legitime Umkehrschluà nahe, Fiktionsbewuàtsein als<br />

PrÇsupposition all jener Kommunikationssituationen anzusetzen, in denen wir – wie<br />

beim hÄfischen Roman – seitens der Rezipienten mit einer Aufhebung der alltagspraktischen<br />

,natÅrlichen Einstellung‘ rechnen kÄnnen.“ (Poetik <strong>und</strong> Hermeneutik 10,<br />

436). Gumbrecht zeigt, dass die abwertende Verurteilung des hÄfischen Romans als<br />

Fiktion allererst von den Kritikern aus nicht-hÄfischen Kreisen, etwa der in der<br />

Publikumsgunst absteigenden EpensÇnger, geÇuàert wurde, deren Åberkommene Literaturformen<br />

im Wettbewerb mit der vordrÇngenden neuen Gattung standen. Diesem<br />

Wettbewerb um literarische Geltung voraus liegt die rezeptive Situation, dass „offenbar<br />

jeglicher der moralischen Auslegung zugÇnglichen Fabel das WahrheitsprÇdikat zugesprochen<br />

wurde“ (ibid., 434). Die klerikalen Autoren der hÄfischen Romane erwehrten

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