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Stele und Legende - Oapen

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Šar tamḫāri 295<br />

Allgemeinen machen die Hypothese einer dominant mÄndlichen Weitergabe der<br />

<strong>Legende</strong> jedoch hÅchst unwahrscheinlich. So wÇre mit ihr zu postulieren, dass<br />

dasselbe, identische Šar tamḫāri-Sujet spontan <strong>und</strong> unabhÇngig voneinander in<br />

Ḫattuša, El-Amarna <strong>und</strong> Assur verschriftet wurde, wÇhrend viele andere <strong>Legende</strong>n<br />

<strong>und</strong> Themen, die es in der mÄndlichen Sagenwelt zweifellos gegeben haben<br />

muss, von den Schreibern beharrlich ignoriert wurden. Ein enges VerhÇltnis<br />

zwischen einer kontinuierlichen oralen áberlieferung <strong>und</strong> sporadischer, spontaner<br />

Verschriftung sollte eine weitaus grÅâere Vielfalt an Sujets hervorgebracht<br />

haben <strong>und</strong> lieâe nicht erwarten, stets dasselbe Sujet anzutreffen. So ist die enge<br />

ábereinstimmung von EA 359 <strong>und</strong> KAV 138 allein mit einer keilschriftlichen<br />

Tradierung der Šar tamḫāri-<strong>Legende</strong> plausibel zu erklÇren, die gewiss nicht<br />

geradlinig, sondern weit verzweigt <strong>und</strong> komplex, aber dennoch genetisch zusammenhÇngend<br />

gewesen ist.<br />

Die beobachteten Varianten fÄgen sich qualitativ <strong>und</strong> quantitativ in das Bild,<br />

das die Varianten in der textuellen Tradition anderer keilschriftlicher Literaturwerke<br />

bieten, wie beispielsweise dem Gilgameš-, dem Etana- oder dem Anzu-<br />

Epos oder dem StreitgesprÇch zwischen Dattelpalme <strong>und</strong> Tamariske. FÄr alle<br />

diese ErzÇhlwerke wird zu Recht eine dominant schriftliche áberlieferung angenommen,<br />

wÇhrend der gleichzeitige Einfluss externer Quellen, seien es schriftliche<br />

oder mÄndliche, nur eine vergleichsweise geringe Rolle gespielt hatte. Sehr<br />

treffend hat C. Wilcke den schriftlichen áberlieferungsprozess fÄr das erwÇhnte<br />

StreitgesprÇch charakterisiert, indem er schrieb:<br />

Wir finden den Text des StreitgesprÇchs im Fluâ. Die Formulierung der einzelnen<br />

Passagen ist zwar relativ fixiert, doch sind die Schreiber wieder frei, sie<br />

ihren Dialekten anzupassen, WÅrter, Wortgruppen, sogar ganze SÇtze umzugestalten,<br />

neu zu formulieren <strong>und</strong> zu erweitern. Sie kÅnnen sogar die Reihenfolge<br />

der Streitreden Çndern <strong>und</strong> sodem Gesamtwerk eine neue Struktur geben.<br />

All dies scheint zunÇchst fÄr mÄndliche Tradition zu sprechen. „Dattelpalme <strong>und</strong><br />

Tamariske“ lÇât sich aber nicht von den sumerischen, sicher schriftlich Äberlieferten<br />

Streitgedichten trennen. Wie diese breitet unser akkadisches Werk enzyklopÇdisches<br />

Wissen aus <strong>und</strong> wurzelt so im Schulbetrieb. Das warnt ebenso vor<br />

der Annahme mÄndlicher áberlieferungswege wie auch die ábereinstimmung in<br />

der graphischen Gestaltung der Exemplare Ab <strong>und</strong> E durch Trennlinien, die nur<br />

in schriftlicher Tradition mÅglich ist. Wir mÄssen wohl annehmen, daâ diese<br />

schriftliche Weitergabe [ . . . ] den Schreibern ein Çhnliches Maâ an Freiheit in<br />

der Gestaltung einrÇumte, wie das in mÄndlicher áberlieferung zu beobachten<br />

ist. Daâ dabei der ábung, in der Schule Texte auswendig zu lernen, eine nicht<br />

unwesentliche Rolle zukam, ist anzunehmen. (ZA 79 [1989], 169)<br />

Die Tradierung der Šar tamḫāri-<strong>Legende</strong> vollzog sich somit zumindest in der<br />

Zeit zwischen den beiden áberlieferungsstufen von El-Amarna (14. Jahrh<strong>und</strong>ert)<br />

<strong>und</strong> Assur (etwa 9. bis 7. Jahrh<strong>und</strong>ert) als bestÇndiges Lesen, Abschreiben <strong>und</strong><br />

Weitergeben eines verschrifteten Literaturwerks, wobei sich die Schreiber

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