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Stele und Legende - Oapen

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144 Literarische FiktionalitÇt im alten Orient<br />

reinen Sinneswahrnehmung wÅrde somit keine klaren Grenzen zum Fiktiven<br />

erzeugen, wie Vaihinger bereits gezeigt hat – wo endet die anthropologisch determinierte<br />

„unmittelbare Empfindung“, wo beginnt der kulturell oder individuell<br />

Åberformte psychische Prozess der Bearbeitung? –, sondern stattdessen das<br />

Reale substantialisieren <strong>und</strong> vom kritischen Urteil des historisch verorteten<br />

Menschen ablÄsen. Eine solche empiristische Position wÇre Åberdies kaum in<br />

der Lage, die ungeheure Vielfalt der Verwendung des Fiktionsbegriffs, der allererst<br />

ein relationaler Begriff ist, zu berÅcksichtigen.<br />

FÅr die begriffliche KlÇrung der Fiktion ist man somit auf die generelle<br />

Ungeschiedenheit der Imagination zurÅckverwiesen, die erst sek<strong>und</strong>Çr als real<br />

oder fiktiv beurteilt wird. Wie verorten oder relativieren sich unter dieser<br />

Voraussetzung dann aber die in Philosophie <strong>und</strong> Literaturwissenschaft vielfÇltig<br />

aufgezeigten „Funktionen des Fiktiven“?<br />

6.1.4. W. Isers literarische Anthropologie des Fiktiven<br />

Die Funktionen des Fiktiven selbst konsequent in den Mittelpunkt der Charakterisierung<br />

literarischer FiktionalitÇt zu rÅcken, hat sich vor allem W. Iser bemÅht.<br />

19 Nach Iser ist die Frage nicht, was Fiktionen sind – eine Frage, bei der am<br />

Ende doch nur der vorab gesetzte Bezugsrahmen darÅber verfÅgt, wie sich die<br />

RealitÇts- <strong>und</strong> FiktionsprÇdikate verteilen, ohne dabei zur Erhellung des Fiktiven<br />

wesentlich beizutragen – ; vielmehr ist allein das, was Fiktionen leisten, fÅr die<br />

theoretische Bestimmung des Fiktiven <strong>und</strong> seiner ratio vivendi bedeutsam. In<br />

den Leistungen, die Fiktionen erbringen, sieht Iser die Gr<strong>und</strong>lagen einer mÄglichen<br />

anthropologischen Literaturtheorie, die Antwort auf die Frage also, warum<br />

es literarische Fiktionen Åberhaupt gibt. So deduziert Iser eine dem Menschen<br />

unverbrÅchlich eingeschriebene „FiktionsbedÅrftigkeit“, die in der Erfahrung<br />

seiner eigenen Begrenzung wurzelt. Der Mensch gewahrt die Unbegreiflichkeit<br />

<strong>und</strong> Haltlosigkeit seiner Existenz, er erkennt seine zeitliche <strong>und</strong> soziale BeschrÇnkung,<br />

zugleich aber ist er bestÇndig zum Ausgleich all jener erkannten,<br />

zum Teil unÅberwindlichen Defizite getrieben. Ausweg aus der Begrenzung<br />

weist die Fiktion, deren gr<strong>und</strong>legendes Charakteristikum ihre transgressive<br />

Funktion ist: Die Fiktion Åberschreitet ein Gegebenes auf ein allein imaginativ<br />

Konstituierbares hin. Damit ist sie das Mittel zur „Extension des Menschen“<br />

19 W. Iser, „Die Wirklichkeit der Fiktion – Elemente eines funktionsgeschichtlichen<br />

Textmodells“, in R. Warning (Hrsg.), RezeptionsÄsthetik (MÅnchen 1975), 277–324;<br />

ders., Der Akt des Lesens – Theorie Ästhetischer Wirkung (MÅnchen 1976); ders. in D.<br />

Henrich / W. Iser (Hrsg.), Funktionen des Fiktiven (Poetik <strong>und</strong> Hermeneutik 10, MÅnchen<br />

1983), 121–151, 479–485 <strong>und</strong> 497–510; ders., Fingieren als anthropologische<br />

Dimension der Literatur (Konstanzer UniversitÄtsreden 175, Konstanz 1990); Das Fiktive<br />

<strong>und</strong> das ImaginÄre (Frankfurt a. M., 1991).

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