Rasch-Das Eibenstocker Stickereigewerbe 1910 - modetheorie.de

modetheorie.de
Rasch, Das Eibenstocker Stickereigewerbe unter der Einwirkung der Mode, 1910, 136 (169)
133
technische Gründe; die Hände von Mann, Weib und Kind waren geübt in der
Handfertigkeit des Tamburierens oder des Ausschneidens, und diese Geübtheit
der Finger kam ihnen in der Maschinenstickerei zu statten. Man betont in den
Kreisen der Eibenstocker Industriellen „das Aufwachsen mit der Industrie“ als
unerläßlich für die spätere Geschicklichkeit des Arbeiters und als Ursache, daß die
Industrie bisher bodenständig blieb. Die Geschicklichkeit der Hände bewirkte,
daß die Maschinenstickerei, welche ihre qualifizierten Hilfskräfte nicht nur aus
den Männern, sondern auch aus den Frauen und Kindern nehmen mußte, in kurzer
Zeit im Vogtlande und im Erzgebirge heimisch werden konnte. An Versuchen
anderer Städte (selbst Dresdens), die Stickereiindustrie durch Versprechen von
billigem Baulande (1) und Steuernachlaß anzulocken, hat es nicht gefehlt; aber
jeder Unternehmer scheute sich, diese Angebote anzunehmen, hauptsächlich wegen
des vorauszusehenden Mangels an geschickten Arbeitern.
Trotz des relativ günstigen Bodens, der sich der Einführung der neuen Technik in
Eibenstock darbot, ergaben sich Schwierigkeiten beim Anlernen; denn die Männer
hatten das Tamburieren nur im Winter geübt, im Sommer waren sie Handarbeiter
gewesen; manche hatten ein Handwerk betrieben. Erleichtert wurde das Einrichten
der Arbeiter dadurch, daß, wie wir erfuhren, bei der Kambrikstickerei der
1860er und 1870er Jahre die Muster in eintöniger Aufmachung sich jahrelang
wiederholten; zum anderen dadurch, daß die Frauen durch das Tamburieren eine
große Geübtheit des Auges besaßen und sie sich zu guten Aufpasserinnen eigneten.
Das Ausschneiden verstanden sie ebenso wie die Kinder von den unterlegten
Sachen her, und die Jugend besorgte auch das Fädeln.
Die ersten Handmaschinensticker waren Autodidakten; denn Zuzug von Plauen
oder gar aus der Schweiz war nicht zu erwarten gewesen und fand auch nicht statt.
Das „sächsische Sibirien“ in seiner Weltverlassenheit und mit dem nach mitteldeutschen
Begriffen unwirtlichen Klima hat meist nur für den Beheimateten Anziehungskraft
genug, um ihn zu neuer Ansiedlung zu veranlassen. So wuchs der
Arbeiterstamm aus sich selbst heraus. Bezeichnend war, daß die Sticker durchweg
zunächst in den Fabriken arbeiteten, wo ihnen die Hilfe des erfahrenen Ar-
____________________
(1) H.-K.-B. Plauen 1902, S. 181.
Rasch, Das Eibenstocker Stickereigewerbe unter der Einwirkung der Mode, 1910, 136 (169)
modetheorie.de