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len, sondern auch von sehr guten Kindern; sie scheiden gewöhnlich<br />
in einem glücklichen und herrlichen Greisenalter aus dem Leben,<br />
geehrt durch Vorrecht und die Achtung seitens so vieler Söhne, die<br />
sich entschieden haben, für sie aus freiwilligem Antrieb mehr als<br />
die Natur erfordert zu sorgen. 20<br />
Josephus Flavius führt derartige Kategorien von Hilfsbedürftigen,<br />
die durch die Gemeinschaft versorgt werden mussten, nicht an.<br />
Daraus kann nicht gefolgert werden, dass sie ihm nicht bekannt<br />
gewesen wären. Anscheinend war die gegenseitige Unterstützung<br />
und Hilfe der Essener untereinander für ihn eine Selbstverständlichkeit<br />
und bildete eine der Grundlagen der jachad el, einen Ausdruck<br />
ihrer vollkommenen Gütergemeinschaft: Untereinander kaufen und<br />
verkaufen sie nichts, sondern ein jeder gibt von seinem Eigentum 21<br />
dem anderen, was dieser nötig hat, und empfängt umgekehrt von<br />
ihm das, was er selbst brauchen kann. Ja, sogar ohne alle Gegenleistung<br />
kann jeder von einem beliebigen Ordensgenossen das Nötige<br />
beanspruchen. 22<br />
Damit beschreibt er nicht wie auch immer geartete Formen einer<br />
“Sozialfürsorge", sondern die Gastfreundschaft, die in der Torah<br />
23 ausdrücklich als Gebot für alle “Kinder Israels" aufgeführt ist<br />
und der die Essener als Juden in jeder Hinsicht verpflichtet waren.<br />
Interessant ist allerdings, dass sich diese Gastfreundschaft, wenn wir<br />
den Quellen folgen, ausschließlich auf Angehörige der Gemeinschaft<br />
24 selbst bezieht. Denn hinter dem Begriff “Fremde" verbergen<br />
sich nicht andere Juden und schon gar nicht “Ungläubige", sondern<br />
Essener, die nicht aus der jeweiligen essenischen Siedlung, in der<br />
ihnen Gastfreundschaft gewährt wurde, kommen: Ordensangehörigen,<br />
die anderswoher kommen, steht alles, was sie bei ihren Genossen<br />
vorfinden, wie ihr eigener Besitz zur Verfügung, und bei Leuten,<br />
die sie nie gesehen haben, treten sie ein, als wären es vertraute<br />
Freunde von ihnen. Deshalb nehmen sie auch auf die Reise durchweg<br />
nichts anderes mit als Waffen zum Schutz gegen Räuber. In jeder<br />
Stadt ist ein Beamter eigens für die Fremden angestellt, um sie<br />
mit Kleidung und allen anderen Bedürfnissen zu versehen. 25 Diese<br />
20 Philon Apologie der Juden § 13.<br />
21 Josephus Flavius unterscheidet nicht zwischen Eigentum und Besitz. Unter<br />
Eigentum sind hier Erträge zu verstehen, die sich aus den Besitzrechten ergeben<br />
und über die die Essener in Eigenverantwortung verfügen konnten.<br />
22 Ios. Bell. Iud. § 127.<br />
23 So z.B. 3 Mos. 19, 9ff.<br />
24 Stegemann, H., Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus, Freiburg/Basel/Wien<br />
1997, 7. Aufl., S. 260.<br />
25 Ios. Bell. Iud. §§ 124f.<br />
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