ZBORNIK - Matica srpska

daß er nur Hippias dazu bringen will, dem Schluß zuzustimmen, ein
und derselbe sei lügenhaft und wahrhaftig, so daß Odysseus, wenn
er lügenhaft war, auch wahrhaftig wird, und wenn Achill wahrhaftig
war, er auch lügenhaft wird, und daß die beiden nicht von einander
verschieden waren und nicht einander entgegengesetzt, sondern ähnlich.
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Das ist gewiß nicht das, was Homer hat sagen wollen, daß
Odysseus und Achill gleichartig waren, und es ist auch nicht die
Auffassung des platonischen Hippias, der sich jetzt gegen Sokrates'
Vorgehen allgemein wehrt und mit Nachdruck diese Konsequenz
ablehnt. Vielmehr bietet er an, den Gegenbeweis anzutreten, nämlich
daß Homer Achill als besser schildert als Odysseus und als redlich,
Odysseus dagegen als listig, vielfach lügend und schlechter als
Achill (369 B 8—C 5). Es ist also Sokrates bzw. Platon, der den
schroffen Gegensatz zwischen Achill und Odysseus für die Argumentation
braucht, mit der er Hippias in die Enge treiben will.
Niemand wird bestreiten, daß Homer Achill und Odysseus als
sehr ungleiche Charaktere darstellt, den einen als tapfer, in seiner
Ehre gekränkt, aber stets offen und bereit, den ihm vorausgesagten
frühen Tod zu akzeptieren, den anderen als kühn und schlau und
vor allem fähig, immer neue Listen zu ersinnen, um sein Leben zu
retten. Ferner ist zuzugeben, daß die Tragiker den von Homer angedeuteten
Unterschied zwischen Achill und Odysseus deutlich herausstellen,
etwa Sophokles im Philoktet oder Euripides im Telephos
und in der Hekabe. 36 Es ist ferner möglich, daß Hippias das homerische
polÿtropoj als “verschlagen" gedeutet hat. Denn nicht ohne
Grund dürfte Antisthenes eine solche Erklärung ausdrücklich abgelehnt
haben, der dem Wort eine moralische Komponente abspricht, 37
35 Cf. eø feyd§j ã 'OdysseŸj ún, kaÆ Èlhu§j gågnetai, kaÆ eø Èlhu§j ã
'Axilleÿj, kaÆ feyd0j, kaÆ oœ diÀcoroi Èll0lwn oí Ëndrej oœd' ñnantåoi,
Èll' Ìmoioi (369 B 4—7).
36 Vgl. nur W. B. Stanford, The Ulysses Theme, 1954; 2 1968 (s. A. 6) und K.
C. King, Achilles (s. A. 6).
37 Vgl. zu der bei Porphyrios erhaltenen Nachricht: H. Schrader (ed.), Porphyrii
Quaestionum Homericarum ad Odysseam pertinentium reliquias, Leipzig
1890, 1—3 und 175—179 und Porphyrii Quaestionum Homericarum ad Iliadem
pertinentium reliquias, Leipzig 1880 386—389; F. Decleva Caizzi (ed.), Antisthenis
Fragmenta, Mailand 1966, 43 (frg. 51); 105—107; weitere Zeugnisse zu Antisthenes'
Homerstudien: 44—46; G. Giannantoni (ed.), Socratis et Socraticorum Reliquiae
I—IV, Neapel 1990, II 209—211 (frg. 187, dazu IV 344—346); Dazu W. B.
Stanford, The Ulysses Theme 1954; 2 1968, 98—100; H. D. Rankin, Antisthenes
Sokratikos, Amsterdam 1986, 175—178, bes. 176 zu polÿtropoj: “Antisthenes argues
that the word polytropos is not a description of moral quality, but of varied
modes of behaviour and manner (tropoi)", s. auch 66: “The word describes Odysseus'
clever and philosophical cast of personality and is entirely appropriate to him;
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