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zeszyt nr 10/2011 - Zbliżenia Interkulturowe

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Artykuły<br />

bildgegenwärtigung entsteht ein Panorama<br />

geschichtlicher Vergangenheit, bei dem<br />

die durch die Umwelt des Kindes bedingten<br />

Faktoren der Personalisation, Sozialisation<br />

und Enkulturation als unauslöschliche<br />

Prägestöcke zutage treten. Aber nicht<br />

nur die auf der Basis dieser Faktoren selbst<br />

gemachten Bilder von Umwelt, Natur und<br />

menschlichen Artefakten prägen die Vorstellung<br />

des Menschen. Auch das Gesagte,<br />

Gehörte, Erinnerte und Gelesene wirkt als<br />

Prägestock. Besonders das Gelesene, die Literatur,<br />

hat dabei ein großes Gewicht. Ihr<br />

größtes Verdienst ist bekanntlich, die Welt<br />

nicht nur zu beschreiben, gesellschaftliche<br />

Bedingungen zu durchleuchten und uns zu<br />

belehren, sondern vor allem „die personalen<br />

Erfahrungen, die wir machen können, über<br />

Grenzen unseres unmittelbaren Erlebens hinaus<br />

zu erweitern“ 17 . Günter Kunert glaubt<br />

in seinem Essay-Band Auskunft für den Notfall<br />

,,dass Literatur unsere Vorstellungskraft<br />

erweitern und uns die Überzeugung<br />

vom Sinn unserer selbst geben könne, dass<br />

sie unsere Erfahrungen steigere und unsere<br />

Artikulations- und Denkfähigkeit erweitere<br />

und fördere“. Sie kann sogar eine therapeutische<br />

Funktion erhalten, wie es der Schweizer<br />

Gegenwartsschriftsteller Adolf Muschg<br />

in seinen Frankfurter Poetik-Vorlesungen<br />

über Literatur als Th erapie und das Heilsame<br />

und das Unheilbare ausgeführt hat.<br />

Nicht umsonst stand schon über dem Eingang<br />

der berühmten Bibliothek von Alexandria<br />

im Altertum „psychae latreion“, die<br />

dortigen vor dem Untergang der Bibliothek<br />

etwa 900 000 Papyrie also als Heilmittel der<br />

Seele. Die Schriftstellerin Christa Wolf be-<br />

17 Hurrelmann, Bettina: Literarische Figuren.<br />

Wirklichkeit und Konstruktivität. In: Praxis Deutsch.<br />

Zeitschrift für den Deutschunterricht, H. 177, Jan.<br />

2003, 30. Jg., S. 4 – 13, hier: S. 4<br />

26<br />

antwortet in ihrem Roman Kindheitsmuster<br />

die Frage, „Wie sind wir so geworden,<br />

wie wir heute sind“ mit dem Satz: „Eine der<br />

Antworten wäre eine Liste mit Buchtiteln“.<br />

Das Lesen von Literatur, diese rätselhafte<br />

Verwandlung von Buchstaben in Gefühle,<br />

Gedanken und Erlebnisse, vermag also die<br />

Erkenntnis der eigenen Gewordenheit und<br />

Individualität zu fördern und unsere Vorstellungskraft<br />

bei der Verbildlichung der<br />

Welt zu erweitern. Sie trägt bei zu unserer<br />

Identität. Erich Kästner stellte einmal fest:<br />

Wenn ein Kind lesen gelernt hat und<br />

gerne liest, entdeckt und erobert es eine<br />

zweite Welt. Das Land des Lesens ist ein<br />

geheimnisvoller, unendlicher Erdteil.<br />

Aus Druckerschwärze entstehen Dinge,<br />

Geister und Götter, die man sonst nicht<br />

sehen könnte. Wer noch nicht lesen<br />

kann, sieht nur, was greifbar vor seiner<br />

Nase liegt oder steht…Wer lesen kann,<br />

hat ein zweites Paar Augen. 18<br />

Ein albanisches Sprichwort meint: „Wer lesen<br />

und schreiben kann, hat vier Augen“.<br />

Kästners Bemerkungen verdeutlichen, dass<br />

das Lesen uns eine Distanz gegenüber der<br />

Absolutheit und Diktatur unserer sinnlichen<br />

Eindrücke gewährt. Diese Distanz vermag<br />

uns sicherer zu machen gegenüber den<br />

Unberechenbarkeiten und Überraschungen<br />

des Lebens. Die Wirklichkeit des Lebens<br />

verliert durch die Lektüre anspruchsvoller<br />

Literatur ihre Unnahbarkeit und Undurchsichtigkeit.<br />

Die Doppeloptik der Literatur<br />

kann dem Leser bislang verschlossene Lebenswirklichkeiten<br />

und –möglichkeiten eröff<br />

nen; sie lässt ihn in unbekannte Lebenszusammenhänge<br />

einsteigen und die eigene<br />

18 Zitiert ebenda, S. 46

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