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zeszyt nr 10/2011 - Zbliżenia Interkulturowe

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Martin Lowsky: Hurerei, Drangsal der Frauen und religiöse Metaphorik<br />

Martin Lowsky<br />

Hurerei, Drangsal der Frauen<br />

und religiöse Metaphorik<br />

Über Maupassants Mademoiselle Fifi<br />

und Fontanes Irrungen, Wirrungen<br />

Die Episode im Werk Guy de Maupassants<br />

ist berühmt: Eine Gruppe von fünf Offi zieren,<br />

Besatzer in Frankreich 1870/71, holen<br />

sich eines Tages Prostituierte in ihr Quartier,<br />

tafeln und kosen mit ihnen, und einer<br />

der Offi ziere – es ist der, der den Spitznamen<br />

‚Mademoiselle Fifi ’ trägt – ruft aus: „À<br />

nous aussi, toutes les femmes de France!“<br />

(Auch für uns alle Frauen Frankreichs!)<br />

Eine der Prostituierten, eine Jüdin namens<br />

Rachel, reagiert so: „Je ne suis pas une<br />

femme, moi, je suis une putain; c’est bien<br />

tout ce qu’il faut à des Prussiens.“ (Ich bin<br />

keine Frau, ich nicht, ich bin eine Hure;<br />

das ist eben alles, was Preußen brauchen.)<br />

Der Offi zier ohrfeigt sie, worauf sie ein silbernes<br />

Messer vom Tisch nimmt und ihn<br />

ersticht. Sie fl ieht, keiner holt sie ein. Sie<br />

hält sich versteckt im Glockenturm der benachbarten<br />

Kirche, ‚dort oben’ (elle „vivait<br />

là-haut“). Sie wird vom Pfarrer und vom<br />

Küster heimlich versorgt, und gelegentlich<br />

läutet sie die Glocken; zum ersten Mal bei<br />

der Beerdigung ihres Opfers. Später, nach<br />

dem Krieg, kehrt Rachel in ihr Bordell zurück,<br />

doch ein „Patriot“, der von ihrer Tat<br />

gehört hat, holt sie heraus. Die Novelle endet<br />

mit diesen Worten: „[Il] l’épousa, en fi t<br />

une Dame qui valut autant que beaucoup<br />

d’autres.“ (Er heiratete sie, machte sie zu<br />

einer Dame, die im gleichen hohen Rang<br />

stand wie viele andere.)<br />

Die Novelle Mademoiselle Fifi , erschienen<br />

1882, lässt an Th eodor Fontanes<br />

Roman Irrungen, Wirrungen von 1887<br />

denken. Im 17. Kapitel von Irrungen, Wirrungen<br />

erleben wir, dass Lene Nimptsch, die<br />

Hauptperson, die mit einem Offi zier liiert<br />

gewesen ist, ihre primitive Wohnung am<br />

Stadtrand Berlins aufgibt und in ein besseres<br />

Viertel zieht. Dort hat sie die Aussicht<br />

„auf die hübsche Kuppel der Michaeliskirche“,<br />

einer katholischen Kirche übrigens,<br />

und der Blick ist „entzückend“ und „frei“.<br />

Bald tritt ein Mitbewohner des Hauses in<br />

ihren Lebensweg, der sie, auf den letzten<br />

Seiten des Romans, heiratet. 1 Lene ist keine<br />

Prostituierte, auch hat sie niemanden ge-<br />

1 Zu den Frauengestalten Fontanes siehe etwa<br />

Norbert Mecklenburg: Th eodor Fontane. Romankunst<br />

der Vielstimmigkeit. Frankfurt a. M. 1998,<br />

VI. Kapitel; Burkhard Spinnen: Wie man die Macht<br />

des Schicksals entmachtet. Stine, Lanni und Lene.<br />

Drei Romanheldinnen Fontanes als Pionierinnen<br />

des modernen Bewusstseins. In: Literaturen. Das<br />

Journal für Bücher und Th emen. 4/April 2002, S.<br />

22–29.<br />

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