zeszyt nr 10/2011 - Zbliżenia Interkulturowe
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Beate Laudenberg: Freundschaftsbeziehungen in der deutschsprachigen…<br />
aber auch die Jungen, Ben eingeschlossen,<br />
ist die zehnjährige Anna nicht aufgrund ihrer<br />
Herkunft, sondern aufgrund ihrer möglicherweise<br />
daraus resultierenden Selbstsicherheit.<br />
Sie ist in ihrer Entwicklung den<br />
Mitschülern und -schülerinnen um einiges<br />
voraus, sie handelt refl ektierter und selbständiger.<br />
Sowohl bei der Anbahnung als<br />
auch im Verlauf ihrer Beziehung zu Ben ergreift<br />
sie häufi g die Initiative: In ihrem Versteck<br />
fordert sie ihn auf, sich zu ihr zu legen.<br />
Ben folgt ihrer Auff orderung, legt sich<br />
aber<br />
mit dem Rücken zu Anna. Dreh dich<br />
doch um. Er drehte sich um und ihr<br />
Gesicht lag vor seinem. Sie atmete und<br />
er fühlte ihren Atem auf seinen Backen,<br />
seiner Stirn. Er machte die Augen zu.<br />
Sie fuhr ihm mit dem Finger übers<br />
Gesicht und plötzlich über die Lippen.<br />
(ebd. S. 64)<br />
Auf dem Nachhauseweg muss sie ihn erst<br />
auff ordern, damit es auch zum ersten Kuss<br />
kommt: „Er machte ungeheuer schnell. Dabei<br />
erwischte er mit den Lippen ihre Nase<br />
und erst am Schluss ihren Mund. Puh! sagte<br />
Anna“ (ebd. 65). 5 Schließlich zeugt auch<br />
ihre Antwort auf die in der Fiktion wie in<br />
der Realität geradezu obligate Frage, ob<br />
sie wieder zurück nach Polen möchte, von<br />
selbstsicherer Akzeptanz ihrer Situation:<br />
„Ich weiß nicht […]. Jetzt ist es eben so“<br />
(ebd. S.70). 6 Nachdem die anfänglichen<br />
5 Weitere Beispiele: „sie redete oft wie eine Erwachsene“<br />
(Härtling S. 32), „sie nahm ihn an der<br />
Hand“ (ebd. S. 52), „Anna nahm seine Hand“ (ebd.<br />
S. 76), „Anna umarmte ihn und zog ihn an sich.“<br />
(ebd. S. 80)<br />
6 Vgl. „‚Willste nich doch in euer Dorf zurück?’<br />
fragte Matthias [die in Berlin geborene Shirin türki-<br />
Hindernisse bzw. Vorbehalte der Familie<br />
und Peer Group ausgeräumt sind, Bens Vater<br />
sogar Annas Vater bei der Arbeitssuche<br />
unterstützen will, erleben die beiden einen<br />
harmonischen Ausfl ug mit Nacktbaden im<br />
See, müssen sich dann aber sehr bald trennen,<br />
da Annas Vater eine Stelle in einer<br />
Kohlengrube gefunden hat und die Familie<br />
Mitschek ins Ruhrgebiet zieht.<br />
Solch eine relativ konfl iktarme Beziehung<br />
kommt gut ein Jahrzehnt später nicht<br />
mehr in Betracht, Marianne Kurtz stellt in<br />
ihrem 1995 erschienenen Roman „Sina<br />
und Janusz“ die prekäre Situation des Spätaussiedlers<br />
Janusz Brzeszczynski dar, der<br />
Ende der 1980er mit seiner älteren Schwester<br />
und seiner geschiedenen Mutter ohne<br />
den Vater, einen gebürtigen Polen, nach<br />
Deutschland eingewandert ist und gegen<br />
seinen Willen fortan Hans Burger heißt:<br />
Entschlossen hob er den Kopf.<br />
„Ich nicht heiße Hans. Heiße Janusz,<br />
Janusz Brzeszczynski.’ Es erschien ihm<br />
plötzlich ungeheuer wichtig, dass Sina<br />
wusste, wer er wirklich war. Nicht Hans<br />
Burger, der Aussiedler, sondern Janusz,<br />
der Sohn von Grzegorz Brzeszczynski.“<br />
(Kurtz S. 75)<br />
Er besucht die 8. Realschulklasse, ist aber,<br />
wie in diesem Zitat deutlich wird, aufgrund<br />
seiner defi zitären Deutschkenntnisse sowie<br />
auch aufgrund seiner psychischen durch<br />
Heimweh und Sehnsucht nach seinem Vater<br />
gekennzeichneten Verfassung versetzungsgefährdet.<br />
Da sich seine Mitschüler<br />
und –schülerinnen wegen seiner „Sprachbarriere“<br />
über ihn lustig machen, „redete er<br />
auch möglichst wenig im Unterricht“ (ebd.<br />
scher Staatsangehörigkeit] “ (-ky: Heißt du wirklich<br />
Hasan Schmidt?, 1984, S. 93)<br />
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