zeszyt nr 10/2011 - Zbliżenia Interkulturowe
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Artykuły<br />
glaubten und auf den Kleinwagen in China<br />
gesetzt hatten, plötzlich gegenüber großen<br />
amerikanischen Wagen ins Hintertreffen<br />
gerieten. Doch wie es in den gerade aus<br />
dem Kommunismus sich befreiten Herzen<br />
aussah, konnte ich deswegen nur vermuten,<br />
weil ich die Wirkmächte und geistigen<br />
Prägungen der Vergangenheit sowie ihre<br />
Dauer nicht abzuschätzen vermochte. Hatte<br />
mir ein chinesischer Kollege zwar einiges<br />
gesagt über sein Leid während der Kulturrevolution,<br />
doch ich vergaß es ganz im<br />
Sinne der Verständnisregel des Konfuzius 25 .<br />
Er hatte mir auch etwas über die damalige<br />
Lage erklärt und auf der Folie eigener Zeitungslektüre<br />
erinnerte ich mich schließlich<br />
an das mir Erzählte. Aber ich begann es erst<br />
zu verstehen, als ich mich in die Lektüre<br />
des zweiten Bandes moderner chinesischer<br />
Erzählungen von 1949 bis 1979 26 mit dem<br />
Titel Hundert Blumen 27 vertiefte. Hier sei<br />
eine Erzählung von Liu Xinwu ausgewählt,<br />
in der Liebe und Sexualität über zehn Jahre<br />
lang als bourgeois, revisionistisch und<br />
gar als unmoralisch gebrandmarkt wurden.<br />
Diese Erzählung Ort der Liebe (1978) handelt<br />
von einer jungen Frau, Leiterin einer<br />
kommunistischen Jugendzelle, die sich als<br />
echte proletarische Revolutionärin fühlt<br />
und etwas tut, was man gar nicht von ihr<br />
erwartet: sie verliebt sich. Das damalige<br />
System des Kommunismus in China unter-<br />
25 Bei Konfuzius heißt es: Sag es mir – ich werde<br />
es vergessen. Erklär es mir – ich werde es erinnern.<br />
Lass es mich selber tun – ich werde es verstehen.<br />
26 Kubin, Wolfgang (Hrsg.): Hundert Blumen.<br />
Moderne chinesische Erzählungen. Zweiter Band:<br />
1949 bis 1979. Frankfurt (Suhrkamp) 1980 (= es<br />
<strong>10</strong><strong>10</strong>. Neue Folge Bd. <strong>10</strong>)<br />
27 Der Titel Hundert Blumen verweist auf Mao<br />
Zedongs Worte vom 2. Mai 1956 zur Ermunterung<br />
von Kritik („Lasst hundert Blumen blühen, lasst<br />
hundert Gedankenschulen miteinander streiten“).<br />
30<br />
band „jede öff entliche Diskussion über das<br />
Th ema Liebe und verhinderte damit, dass<br />
man über das aufgeklärt werden und sich<br />
zu ihr bekennen konnte, die Konsequenz<br />
war, dass die Liebe im Leben keinen Ort<br />
hatte“, heißt es im Text. Die Tante Feng der<br />
jungen Frau, die in ihrer Jugend ebenfalls<br />
einen Kampfgenossen liebte, der jedoch im<br />
Kampf fi el, erklärt am Ende der Geschichte:<br />
„Ach Xiaoyu, Liebe ist eine komplizierte<br />
Angelegenheit. Sie sollte auf der Basis gemeinsamer<br />
politischer Ziele und Interessen<br />
beruhen. (…) Wenn ein Mensch der Liebe<br />
wegen die Revolution vergisst, dann nimmt<br />
die Liebe nicht den richtigen Platz in seinem<br />
Leben ein und kann der Sache der Revolution<br />
schaden.“ 28 Die Partei duldet nur<br />
die Totenverehrung des gefallenen Helden,<br />
nicht aber eine lebendige Liebesbeziehung.<br />
Die meisten Frauen dieser Erzählungen haben<br />
sich in die Welt des Mannes eingegliedert,<br />
wo sie nur als Arbeitskraft emanzipiert<br />
sind und Verzicht auf Sexualität zu leisten<br />
haben. 29 Alle Erzählungen der Anthologie<br />
Hundert Blumen sind geprägt von der Einübung<br />
in die Ordnung der Partei. Individuelle<br />
Bedürfnisse wie Liebe, Glück oder<br />
Selbstverwirklichung gelten nur, wenn sie<br />
im Dienste der Partei stehen und die Revolution<br />
befl ügeln. Ansonsten besitzen sie<br />
in diesem System ‚keinen Ort nirgends’.<br />
Die Gesellschaft erlaubt nur Erfüllung in<br />
der Phantasie, so wie bei Tante Feng in unserer<br />
Geschichte, wo nur der Verstorbene<br />
als Gesprächspartner zu Hause ist. 30 Wer<br />
28 Xinwu, Liu: Der Ort der Liebe. In: Hundert<br />
Blumen. Hrsg. Wolfgang Kubin, a.a.O., S. 434-466,<br />
hier: S. 465f.<br />
29 Vgl. Kubin, Wolfgang: (Hrsg.), Hundert Blumen,<br />
a.a.O., Einleitung, S. 7 – 16, hier: S. 11<br />
30 Vgl. Kubin, Wolfgang: Einleitung, a.a.O., S.<br />
14f.