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zeszyt nr 10/2011 - Zbliżenia Interkulturowe

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Martin Lowsky: Hurerei, Drangsal der Frauen und religiöse Metaphorik<br />

by das Segeln? Natürlich nicht, aber neben<br />

ihrer Arbeit hat sie noch Zeit für Freizeitbeschäftigungen<br />

von Niveau. Lene als gelegentliche<br />

aktive Seglerin – wer hätte das<br />

gedacht, nachdem Lene vorher im Roman<br />

als Beinahe-Unfallopfer in der Spree<br />

bei Stralau vorgestellt wurde. (Übrigens ist<br />

Lene auch Th eaterbesucherin, wie wir noch<br />

sehen werden.) Es ist überhaupt so, dass<br />

Lene im Laufe des Romans ‚sozial wächst’:<br />

Sie wird im 3. Kapitel als angestrengt plättendes<br />

Mädchen geschildert – was manche<br />

Interpreten dazu verleitet, sie grundsätzlich<br />

als Plätterin zu bezeichnen –, wird aber im<br />

8. Kapitel „Weißzeugdame“ genannt – was<br />

schon eine Stufe höher ist und sie zur Näherin<br />

macht –, und sie sagt im 16. Kapitel,<br />

ihr Arbeitgeber Goldstein habe einen Sonderauftrag<br />

für sie, nämlich Stickarbeiten für<br />

„die Wäsche der Waldeckschen Prinzessin“<br />

– wodurch sie sich als qualifi zierte Kunststickerin<br />

erweist.<br />

Unser zweiter und wichtigster Punkt<br />

ist das Th ema Prostitution. Betrachten wir<br />

hierzu die Szene im zweiten Teil des Romans,<br />

in der Gideon Franke, Lenes Bräutigam<br />

in spe, Botho aufsucht, um mit ihm<br />

über Lene zu sprechen. Warum hat Fontane<br />

diese Szene erdacht? Warum geht Gideon<br />

zu Botho, warum wagt er es, einen<br />

Adeligen um ein Gespräch zu bitten? Nur<br />

um über Lene zu plaudern, eine schlichte<br />

Neugier zu befriedigen? Nein, Gideon<br />

sucht Botho auf, um einen wichtigen heiklen<br />

Punkt zu klären, nämlich um zu erfahren,<br />

ob Bothos und Lenes intime Liaison<br />

auf Herzensliebe gegründet war oder<br />

ob es um Mätressenwirtschaft ging. Den<br />

ersten Fall, die Liebe, umschreibt Gideon<br />

mit: „in seines Fleisches Schwäche [leben]“,<br />

den anderen, schlimmen, mit: „in der Seele<br />

Niedrigkeit [stecken]“. Die beiden Herren<br />

führen ihr Gespräch in diskreten Formulierungen.<br />

Botho sagt, fast nur nebenbei,<br />

Lene habe den Stolz, „von ihrer Hände Arbeit<br />

leben zu wollen“. Damit erlebt Gideon<br />

die gewaltige Erleichterung, zu hören, dass<br />

in der Liebschaft der beiden kein Geld gefl<br />

ossen ist und allein das Wort von ‚des Fleisches<br />

Schwäche’ galt. Lene ist nicht Bothos<br />

Mätresse gewesen, ist nicht der käufl ichen<br />

Liebe verfallen. Gideons namenlose Freude<br />

über diese Nachricht zeigt sich in seiner<br />

anschließenden Redelust über „Proppertät“,<br />

„Honnettität“ und „Reellität“. Und<br />

wenn die Sachlage doch anders gewesen<br />

wäre? Dann hätte Gideon von Botho eine<br />

„Hurengeschichte“ 3 hören müssen. Dies ist<br />

nicht der Fall, aber der Gedanke an Hure<br />

und Prostitution hat für Gideon und für<br />

alle, die Lene kannten, im Raum gestanden.<br />

Dieser Gedanke ‚Prostitution’ ist im<br />

Roman gegenwärtig auch durch die Rückblicke<br />

auf Personen, die in käufl iche Liebe<br />

verwickelt sind; es sind Rückblicke, die sich<br />

am Anfang, in der Mitte und am Ende befi<br />

nden. Zuerst spricht Frau Dörr über ihre<br />

einstige Rolle als bezahlte Geliebte eines<br />

Grafen („Grässlich war es“). Später hören<br />

wir den Namen Agnes Sorel, einen Namen<br />

aus Schillers Jungfrau von Orleans, der eine<br />

historische Mätresse bezeichnet (1422–<br />

1450), die erste ‚maîtresse en titre’ in der<br />

Geschichte des französischen Königshofes.<br />

Botho gibt Lene vorübergehend diesen<br />

Spitznamen. Sodann kommt bei dem Ausfl<br />

ug Bothos und seiner Frau nach Charlottenburg<br />

die Rede auf Friedrich Wilhelm II.<br />

3 Das Wort „Hurengeschichte“ soll als schmähendes<br />

Urteil über Irrungen, Wirrungen in der<br />

Redaktion der Vossischen Zeitung gefallen sein anlässlich<br />

des Vorabdrucks. Siehe Co<strong>nr</strong>ad Wandrey:<br />

Th eodor Fontane. München 1919, S. 213.<br />

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