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zeszyt nr 10/2011 - Zbliżenia Interkulturowe

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Refl eksje<br />

tötet, doch die kompositorischen Ähnlichkeiten<br />

zwischen den beiden Werken sind<br />

auff ällig. Sie machen uns dafür sensibel,<br />

dass auch bei Fontane die Frauen in großer<br />

Drangsal leben, und sie lassen uns erkennen,<br />

dass in Fontanes Roman der eigentliche<br />

Schnitt zwischen dem ersten und dem<br />

zweiten Teil nicht im Abschied Bothos und<br />

Lenes und auch nicht in Bothos Verheiratung<br />

liegt, sondern in der Stelle, wo Lene in<br />

die neue Wohnung zieht.<br />

Fontane erzählt, dass Lene Nimptsch<br />

einen psychischen und körperlichen Zusammenbruch<br />

erleidet, als sie eines Tages<br />

zufällig ihrem ehemaligen Freund Botho<br />

und seiner Ehefrau begegnet, die heiter<br />

plaudern. Es ist das erste Mal seit dem Abschied,<br />

dass ihr der geliebte Botho vor die<br />

Augen gerät. Damit dies nicht wieder geschieht,<br />

beschließt sie wegzuziehen. Ihre<br />

alte Behausung wird nun „Puppenkasten“<br />

genannt, was auf ihre Dürftigkeit anspielt,<br />

aber zugleich aussagt: Hier fand die ‚Verpuppung’<br />

Lenes satt, die nun sozusagen<br />

zum Schmetterling wird, der sich frei entfaltet.<br />

Präzise mit diesem Umzug geht der erste<br />

Teil des Romans zu Ende. Denn zu Beginn<br />

von Irrungen, Wirrungen heißt es, Mitte der<br />

siebziger Jahre noch habe sich eine Gärtnerei<br />

an einer gewissen Stelle befunden. Gesagt<br />

ist damit: Die Gärtnerei gibt es nicht<br />

mehr; das zu Erzählende ist Historie, soweit<br />

die Gärtnerei eine Rolle spielt. In der Gärtnerei<br />

hat Lene gewohnt. Wenn Lene umzieht,<br />

die Gärtnerei verlässt, wird also die<br />

Historie verabschiedet. Die ersten Leser<br />

des Romans mussten empfi nden: Mit Lenes<br />

Umzug kommt der Roman im Jetzt an.<br />

Fontane erwähnt das Aufblühen Lenes<br />

in der neuen Wohnung. Ihr werden „Gesundheit<br />

und Erholung“ zuteil, wobei kör-<br />

58<br />

perliche und seelische Gesundheit gemeint<br />

sind. Ihr herzliches Lachen wird genannt.<br />

Lenes Gesundung gestaltet Fontane auf<br />

poetische Weise aus. Der Zusammenbruch<br />

Lenes bei der Begegnung mit Botho und<br />

seiner Ehefrau verbildlicht ein Sterben Lenes,<br />

denn als sie sich schwindlig niederlässt,<br />

ist in der Nähe ein „Grabscheit“. Das Wort<br />

bezeichnet einen kleinen Spaten, weist aber<br />

auch (‚Grab-Scheit’) auf das Grab hin. Ihre<br />

alte Wohnung wird jetzt „Keller“ genannt.<br />

Der Umzug fi ndet gerade zu Ostern statt,<br />

er ist eine Art von Auferstehung. Fontane<br />

bereitet also mit christlichen Bildern den<br />

Ausblick Lenes auf die Kirche vor. Ähnliches<br />

fi nden wir bei Maupassant, der Rachels<br />

Aufenthalt im Glockenturm gleichfalls<br />

poetisch vorbereitet. Denn seit die<br />

Besatzer im Ort sind, läuten auf Anweisung<br />

des Pfarrers die Glocken nicht mehr,<br />

als eine „protestation pacifi que“ und „protestation<br />

tacite“. 2 Rachels Einzug in den<br />

Glockenturm und ihr Läuten sind also der<br />

Abschluss einer Ära, einer Ära der ‚stummen<br />

Kirche’, einer Passionszeit.<br />

Gehen wir auf zwei Punkte ein! Als erstes<br />

ist festzuhalten: Die Umzug-Episode<br />

beschreibt einen sozialen Aufstieg der Figur<br />

Lene. Der neue Vermieter ist ein ehrlicher<br />

Handwerker, nicht ein betrügerischer<br />

Geizhals, wie es der vorherige Mieter<br />

war, und die Wohnung nennt der Erzähler<br />

„eine kleine Prachtwohnung“. Der Leser<br />

ist überrascht. Aber vielleicht nicht<br />

sehr überrascht, denn er hat schon vorher<br />

staunen können, als Botho und Lene bei<br />

Hankels Ablage eine Bootsfahrt unternehmen<br />

und Lene sagt, sie könne „sogar steuern<br />

und ein Segel stellen“. Ist Lenes Hob-<br />

2 Mariane Bury (La Poétique de Maupassant.<br />

Paris 1994, S. 262) sagt über Maupassants Novellen:<br />

„Seul le sublime peut remplacer le silence“.

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