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zeszyt nr 10/2011 - Zbliżenia Interkulturowe

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Norbert Mecklenburg: Interkultureller Dialog und Migrantenliteratur in Europa<br />

die Autoren kommen, zu der Kultur, in der<br />

sie leben und schreiben, und vielleicht auch<br />

in umgekehrter Richtung, sondern außerdem<br />

im Rahmen Europas und über Europa<br />

hinaus. Wie bringen wir Literatur, Migration,<br />

interkulturellen Dialog und Europa<br />

in einen sinnvollen Zusammenhang? Ist<br />

dabei der Begriff ‘Migrantenliteratur’ nützlich<br />

oder hinderlich?<br />

Europa mag alles Mögliche sein, eine literarische<br />

Kategorie ist es nicht. Es ist erstens<br />

eine geographische Größe, ein Kontinent<br />

mit im Westen, Süden, Norden klaren,<br />

weil Meeresgrenzen, im Osten jedoch mit<br />

etwas diff usen Landgrenzen. Europa ist<br />

zweitens so etwas wie eine Idee – oder sogar<br />

mehrere. Denn die in Europa umlaufenden<br />

Europa-Vorstellungen divergieren sehr<br />

stark, vom besonders in der Nachkriegszeit<br />

und jetzt wieder, namentlich gegen die Türkei<br />

beschworenen ‘christlichen Abendland’<br />

– eine ausgesprochen konservative Imagination<br />

– bis zum ‘Projekt Europa’, das lange<br />

Zeit mit dem der Moderne gleichgestellt<br />

wurde: Humanismus, Emanzipation, Befreiung<br />

der Kunst und des Denkens, Autonomie,<br />

Mensche<strong>nr</strong>echte, Demokratie,<br />

Sozialstaat. Dieses Projekt ist mittlerweile<br />

längst transkulturell, also auch transeuropäisch.<br />

Es gibt drittens die harte politische<br />

und gesellschaftliche Realität Europas<br />

bis in unser neues Zeitalter der Globalisierung:<br />

Abgrenzung Europas als ‘Kulturkreis’<br />

oder ‘Festung’, früher gegen ‘Barbaren’,<br />

‘Heiden’ oder ‘niedrigere Rassen’, heute gegen<br />

Migrantenströme aus Ost und Süd. Es<br />

gibt das Erbe von Kolonialismus und Imperialismus.<br />

Mit einem Wort: es gibt ein offenes<br />

und ein geschlossenes, ein inklusives<br />

und ein exklusives Europa. Mit beiden Seiten<br />

Europas hat es die Migrantenliteratur<br />

zu tun. Wie geht sie damit um?<br />

Der Begriff ‘Migrantenliteratur’ wird<br />

heute in der Regel auf Autoren bezogen,<br />

die in einer zweiten – oder sogar dritten<br />

– Sprache schreiben, die sie sich aufgrund<br />

von Migration angeeignet haben, oft nicht<br />

ohne Schwierigkeiten, die in ihren Texten<br />

in verschiedenster Weise zum Ausdruck<br />

kommen können. Birgt das Schreiben in<br />

einer durch Migration angeeigneten Sprache<br />

ein spezifi sches interkulturelles Potential?<br />

Aber behindern wir dieses Potential<br />

nicht von vornherein, wenn wir mit dem<br />

Begriff ‘Migrantenliteratur’ die Autoren in<br />

eine ethnische oder kulturelle Ecke stellen,<br />

womöglich auch noch solche einer zweiten<br />

und dritten Generation, die längst nicht<br />

mehr in einer ‘adoptierten Sprache’ schreiben?<br />

Oder verkaufen sich ihre Bücher besser,<br />

wenn sie das Markenzeichen des ‘Fremden’<br />

tragen? Diff erence sells. Wäre für diese<br />

Literatur vielleicht der literatursoziologisch<br />

weitere Begriff ‘Minoritätenliteratur’ passender,<br />

der ihr keine gemeinsamen Merkmale<br />

zuschreibt, sondern auf die sozialen<br />

Verhältnisse zielt, in denen sie produziert<br />

und rezipiert wird? Aber konstruieren wir<br />

damit nicht eine problematische Bindung<br />

der individuellen Autoren an soziale Gruppen?<br />

Denn migrative Minoritätenliteratur<br />

dürfte erheblich lockerer mit der Herkunfts-<br />

und Migrationsgruppe verbunden sein als<br />

regionale Minderheitenliteratur, wie sie seit<br />

Jahrhunderten in den meisten Ländern Europas,<br />

allerdings mit rückläufi ger Tendenz,<br />

zu fi nden ist. Schließlich: Können wir die<br />

Migrantenliteratur überhaupt pauschal als<br />

‘interkulturelle Literatur’ bezeichnen? Werden<br />

die Autoren damit nicht auf die Rollen<br />

von Kulturvermittlern, Ethnologen, Sozialreportern<br />

oder Reiseleitern festgelegt? Wird<br />

dadurch nicht unbedacht das interkulturelle<br />

Potential sonstiger Literatur ignoriert?<br />

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