zeszyt nr 10/2011 - Zbliżenia Interkulturowe
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ein Drittel der Einwohner der Stadt. Dann<br />
wurde das jüdische Viertel schon bald nach<br />
Kriegsbeginn zum Ghetto erklärt und seit<br />
1940 mussten sich alle Juden Lublins darin<br />
aufhalten. Zwei Jahre später begann ihre<br />
systematische Vernichtung. Straßenzug um<br />
Straßenzug trieb die SS die Juden meist<br />
während der Nacht aus ihren Wohnungen<br />
und brachte sie an den Stadtrand zu einem<br />
Schlachthof mit Gleisanschluss. Den Weg<br />
dorthin mussten sie zu Fuß zurücklegen,<br />
wer nicht mehr konnte oder fl iehen wollte,<br />
wurde erschossen.<br />
Ein Schlachthof als Umschlagplatz. Unweigerlich<br />
drängt sich mir der Anfang eines<br />
der bekanntesten Gedichte des polnischen<br />
Dichters Tadeusz Różewicz auf, das<br />
den Titel trägt: „Gerettet“:<br />
Vierundzwanzig bin ich<br />
gerettet<br />
auf dem weg zum schlachten.<br />
Leere namen die gleiches bedeuten:<br />
mensch und tier<br />
liebe und hass<br />
feind und freund<br />
licht und dunkel.<br />
Ich sah:<br />
menschen wie tiere getötet<br />
fuhren zerhackter menschen<br />
ohne erlösung.<br />
Kannte Różewicz diesen Schlachthof hier in<br />
Lublin? Was ist aus diesem Ort geworden?<br />
Wenn es ihn nicht mehr gibt, was befi ndet<br />
sich heute an dessen Stelle? Aus einem kleinen<br />
Reiseführer habe ich die Adresse erfahren:<br />
ul. Turystyczna 9. Doch auf den ersten<br />
Blick deutet hier nichts auf ein schlachthof-<br />
Matthias Kneip: Orte am Rand der Mitte<br />
ähnliches Gebäude hin. Ein paar kleine Geschäfte<br />
reihen sich aneinander, dann folgt<br />
eine Mauer. Ist es die Mauer des ehemaligen<br />
Schlachthofs? Neben einem Hundesalon<br />
führt mich eine kleine Einfahrt auf<br />
ein ziemlich heruntergekommenes Industriegelände.<br />
Etwas beu<strong>nr</strong>uhigt dadurch, dass<br />
mich einige Arbeiter ziemlich argwöhnisch<br />
begutachten, gehe ich noch ein Stück weiter<br />
und stehe plötzlich einem gewaltigen<br />
Gebäudekomplex auf der linken Seite gegenüber.<br />
In dessen Mitte liegt eine alte, aus<br />
Ziegeln gemauerte Fabrikhalle, aus deren<br />
vorderem Teil sich ein achteckiger Turm<br />
erhebt. Das Gebäude ist völlig verfallen,<br />
die Scheibe<strong>nr</strong>eihe, die das Blechdach unterteilt,<br />
eingeschlagen. Das Umfeld gleicht<br />
einer Müllhalde. Er steht also noch, der<br />
Schlachthof von damals. Doch auch er hat<br />
seine traurige Geschichte nicht überlebt.<br />
Zu meinem großen Erstaunen fi nde ich auf<br />
der einen Seite des Schlachthofes das Schild<br />
einer Firma, die automatische Massagerollen<br />
herstellt. Im Innern der provisorisch<br />
genutzten Räume herrscht sogar reges Treiben.<br />
Auf die Frage, ob ich über die Räume<br />
der Firma die Haupthalle des alten<br />
Schlachthofes betreten kann, zuckt ein Arbeiter<br />
nur die Schultern. Er kenne nur die<br />
wenigen Räume, die sich die Firma hergerichtet<br />
habe. Ein paar weitere gehörten einer<br />
zweiten Firma und noch ein paar einer<br />
dritten. Man habe sich das so aufgeteilt<br />
und neue Wände eingezogen. Ob er wisse,<br />
was sich sonst noch in diesem ehemaligen<br />
Schlachthof befi ndet, frage ich ihn, aber er<br />
hat keine Ahnung.<br />
Hoch über dem Firmenschild, kaum noch<br />
lesbar, kann ich noch eine weitere, ziemlich<br />
alte polnische Inschrift entziff ern: Zakłady<br />
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