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Das Mirakel von Bernsdorf - Demo - Buch.de

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Andreas!<br />

Da wacht er auf, sieht <strong>de</strong>n Vater erstaunt an. Die Fahne, sagt er, ach so, ich hab’s<br />

geträumt.<br />

Was hast du geträumt? fragt Karl-Ernst Suhrbier.<br />

Bin <strong>de</strong>m Stück Stoff nachgetaucht, das ich in <strong>de</strong>n Rhein geworfen hatte, sagte Andreas.<br />

Warum geworfen? Was für ein Stoff?<br />

Aber Andreas will durchaus nicht, und schon gar nicht jetzt, mit <strong>de</strong>m Vater über <strong>de</strong>n<br />

Menschheitsbund re<strong>de</strong>n. Über dies tot geborene Kind unserer kindlichen Gläubigkeit, <strong>de</strong>nkt<br />

er und stellt sich, als schliefe er weiter. Dabei sieht er sich nun auf <strong>de</strong>m Weg zu diesem<br />

Bund. Weiter Weg. Von Mainz nach Paris, nach Würzburg, nach Erfurt, nach Altona, nach<br />

Paris. Und wie<strong>de</strong>r nach Mainz, zu dieser Rheinbrücke. Jahrelanger Weg. Mit Michel Marten<br />

auf <strong>de</strong>r verlorenen, wie<strong>de</strong>r gefun<strong>de</strong>nen, wie<strong>de</strong>r verlorenen Spur <strong>de</strong>s Heinrich Marten.<br />

In einem kleinen elsässischen Pfarrhaus: Ja, hier war ein Monsieur Henri Marten, gewiss,<br />

die Herren, sagt <strong>de</strong>r Pfarrer. Dort in <strong>de</strong>m alten, leeren Schulgebäu<strong>de</strong>, dort hat er seine<br />

Kolonie begrün<strong>de</strong>n wollen. Mit zwölf Waisenkin<strong>de</strong>rn und wenig Geld. Bald waren es dreißig<br />

Kin<strong>de</strong>r. Und nichts zu essen. Wir sind eine arme Gegend. Ich hätte ihm ja gern geholfen,<br />

aber ...<br />

Er macht eine resignieren<strong>de</strong> Geste mit Armen und Hän<strong>de</strong>n, er ist ein weißhaariger,<br />

gutmütiger Alter, man sieht, dass er <strong>de</strong>m Heinrich Marten gern geholfen hätte, man sieht<br />

aber auch, dass er ihn mitleidig, ungläubig, verständnislos belächelt hat.<br />

Was er dann gemacht hat? sagt er auf ihre Frage, ja, wer kann das wissen? Er hatte keine<br />

Wahl, musste die Kin<strong>de</strong>r fortschicken, sie wären ihm sonst verhungert. Und er war dann<br />

einfach verschwun<strong>de</strong>n. Die Leute hier re<strong>de</strong>ten, er habe sich gewiss aufgehängt. Irgendwo<br />

im Wald. Aber ich glaube das nicht, <strong>de</strong>nn es passt nicht zu ihm. So einer wie er hängt sich<br />

in <strong>de</strong>r größten Verzweiflung nicht auf, so einer verliert eher <strong>de</strong>n Verstand, als dass er das<br />

Leben fortwirft. Einmal zeigte er mir eine Schrift - seinen Vorschlag für ein neues<br />

Bildungssystem, <strong>de</strong>n wollte er <strong>de</strong>r französischen Republik unterbreiten. Ich hab’s gelesen.<br />

Ein wun<strong>de</strong>rschöner Traum, ja. Aber eben nur ein Traum, undurchführbar, meine Herren,<br />

wenn Sie mich fragen. Ich <strong>de</strong>nke, nach Paris wird er sein, <strong>de</strong>r Monsieur Marten.<br />

Er ruft nach <strong>de</strong>r Haushälterin, die bringt zwei Becher Milch, er bietet keine Stühle an, es ist<br />

offensichtlich, dass er die Besucher höflich, aber dringend wie<strong>de</strong>r forthaben möchte.<br />

Da ziehen sie weiter. Zu Fuß. Durch die Champagne. Auf <strong>de</strong>n Spuren <strong>de</strong>r im Frühjahr<br />

geschlagenen Alliierten, vom Heer <strong>de</strong>r französischen Revolutionäre geschlagenen<br />

preußisch-österreichischen Truppen. Sehen die Trümmer ihrer Bagage, ihrer<br />

zurückgelassenen Kanonen noch am Wegrand liegen, ahnen die Gräber rechts und links<br />

<strong>de</strong>s Weges - Massengräber <strong>de</strong>r <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Ruhr zu Tausen<strong>de</strong>n hinweggerafften Soldaten -<br />

und darüber ein weiter Frühjahrshimmel, und das Grün <strong>de</strong>r Bäume, Sträucher und Wiesen<br />

ist frisch und hell wie in je<strong>de</strong>m Frühjahr, und Michel Marten lauscht <strong>de</strong>n Vogelkonzerten, wie<br />

er’s je<strong>de</strong>s Frühjahr in <strong>Bernsdorf</strong> getan hat, und Andreas Suhrbier untersucht die Pflanzen<br />

am Wegrand und die Steine auf <strong>de</strong>n Wegen und macht sich Notizen über die Landschaft,

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