Das Mirakel von Bernsdorf - Demo - Buch.de
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Da stehen sie an <strong>de</strong>r Seine, Heinrich und Michel, ein warmer, gelber September, die Seine<br />
quält sich träge durch ihr Bett, sie ist dunkel und verschmutzt, ihre Ufer kahl und grau.<br />
Heinrich und Michel sind erst wenige Tage wie<strong>de</strong>r in Paris, ihre Gedanken sind ebenso<br />
trübe wie <strong>de</strong>r Fluss, <strong>de</strong>nn die Stadt, die sie vor einem Jahr verlassen haben, ist nicht<br />
wie<strong>de</strong>rzuerkennen. Wo sind die Trikoloren, wo die Bil<strong>de</strong>r <strong>von</strong> Robespierre und Marat und<br />
Saint-Just, wo die roten Jakobinermützen? Was sind dies für aufgeputzte Gimpel, flanieren<br />
über die Boulevards und schwätzen Gott und die Welt daher, wo sind die Debatten an <strong>de</strong>n<br />
Straßenecken über Egalité und Liberté und Fratemité, über das Maximum und die<br />
Agrarreform und das Gesetz Le Chapelier? Wer, sacrée mer<strong>de</strong>, wer hat hier an <strong>de</strong>r Zeit<br />
gedreht?<br />
Andreas hat sie allein gelassen in ihrer Ratlosigkeit, Andreas hat gesagt: <strong>Das</strong> alles ist<br />
schlimm, aber es ist doch nur <strong>de</strong>r Schein, die französische Republik besteht nach wie vor,<br />
ob mit o<strong>de</strong>r ohne Jakobiner, und ich wer<strong>de</strong> in ihren Dienst treten. Wenn aber nun die<br />
Republik <strong>de</strong>r Schein ist, fragte Heinrich, wenn sie nur das Aushängeschild ist, mit <strong>de</strong>m man<br />
auf Dummenfang geht? Wo ist die Verfassung <strong>von</strong> dreiundneunzig geblieben? Was hat die<br />
Revolution <strong>de</strong>nn nun <strong>de</strong>m Volk genützt, wenn dies ihr En<strong>de</strong> sein soll?<br />
Immerhin, wi<strong>de</strong>rsprach Andreas, doch soviel, dass die Bourbonen fort sind und das ganze<br />
A<strong>de</strong>lspack dazu. Republik, <strong>Demo</strong>kratie. Wirtschaft und Han<strong>de</strong>l florieren wie<strong>de</strong>r. Nützt das<br />
etwa <strong>de</strong>m einfachen Mann nicht?<br />
Freilich, sagte Heinrich mü<strong>de</strong>, freilich nützt ihm das. Aber du re<strong>de</strong>st wie <strong>de</strong>in Vater,<br />
Andreas.<br />
Da wur<strong>de</strong> er zornig, <strong>de</strong>r Andreas Suhrbier, Unsinn, rief er, und wenn schon, ihr seid vernarrt<br />
in eure Träume, man muss sich doch irgendwann einmal mit <strong>de</strong>n Gegebenheiten abfin<strong>de</strong>n,<br />
Herrgott, man kann doch nicht lebenslänglich seinen Träumen nachrennen!<br />
Da haben sie ihm Glück gewünscht und ihn gehen lassen; sollte er sehen, wie er durch die<br />
Maschen <strong>de</strong>s Netzes schlüpfen konnte, mit <strong>de</strong>m die neuen Machthaber nach Robespierres<br />
Anhängern fischten ...<br />
Was wollen wir hier, Heinrich?<br />
Von Altona hatten sie schnell genug gehabt. Was konnte man schon tun in Deutschland? So<br />
gut wie nichts. Kaum ein Echo auf ihre Zeitschrift. Die Versammlungen im Altonaer<br />
Jakobinerklub wur<strong>de</strong>n immer seltener, waren immer spärlicher besucht. Hin und wie<strong>de</strong>r<br />
noch: Flugzettel drucken und verteilen, unter <strong>de</strong>m Befehl <strong>de</strong>s Samuel Breker, eines<br />
grünäugigen, asketischen <strong>Buch</strong>druckers aus Hamburg, Hauptredner im Klub; vor Jahren<br />
hatte er Michel ein paar Wahrheiten über Karl-Ernst Suhrbier gesteckt, Michel hatte ihn<br />
sofort wie<strong>de</strong>rerkannt und seine Freundschaft gesucht, hatte das Misstrauen aber nie<br />
beseitigen können, mit <strong>de</strong>m Samuel ihm begegnete.<br />
<strong>Das</strong> Jahr 1795 wur<strong>de</strong> auch in <strong>de</strong>n Freien Städten Hamburg und Altona ein schlimmes Jahr<br />
für Jakobiner, <strong>de</strong>nn die Stadtväter hatten es sehr eilig, <strong>de</strong>n neuen Pariser Machthabern in<br />
<strong>de</strong>r Jagd auf Robespierres Anhänger nachzueifern. Nach Samuels Verhaftung verschwand