Das Mirakel von Bernsdorf - Demo - Buch.de
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<strong>de</strong>s ältesten Vetters.<br />
Sie lief hinauf in ihr Zimmer (obwohl sie seit Langem mit Janke in Berlin wohnte,<br />
Behrenstraße, hatte sie ihr Zimmer im <strong>Bernsdorf</strong>schen Schloss nicht hergegeben), suchte in<br />
ihren Sachen, fand schnell, woran sie gedacht hatte: ihr bestes, weißsei<strong>de</strong>nes Kleid. Legte<br />
es zusammen, lief wie<strong>de</strong>r hinunter, fand noch alles wie gehabt, stellte sich mit strahlen<strong>de</strong>m,<br />
unwi<strong>de</strong>rstehlichem Lächeln vor Maria Piotrowska, sagte: Da, Kleine. Damit du übermorgen<br />
noch viel schöner aussiehst als jetzt. Und küsste sie.<br />
Maria allerdings, Maria war mehr erschrocken als erfreut. Wegen dieses „übermorgen“.<br />
Weil doch <strong>de</strong>r Baron noch gar nichts wusste. Nichts wissen sollte. Und weil es so ein<br />
unglaublich schönes Kleid war ...<br />
Die Tür schloss sich hinter Kutscher, Mäg<strong>de</strong>n, Knechten, Köchin, hinter <strong>de</strong>m Leibburschen<br />
Ta<strong>de</strong>usz Piotrowski, <strong>de</strong>r Zofe, Kin<strong>de</strong>rfrau a. D., Serviererin, Vorsteherin <strong>de</strong>s Gesin<strong>de</strong>s<br />
(Mädchen für alles) Halina Piotrowska und hinter <strong>de</strong>m Stubenmädchen Maria Piotrowska,<br />
das <strong>de</strong>mnächst Maria Lemke heißen will.<br />
Wür<strong>de</strong> nun peinliches Schweigen über die spärlich beleuchtete Birke fallen? O<strong>de</strong>r erbitterter<br />
Streit? Ach, Henriette, dass du es nicht lassen kannst ...<br />
Aber Joachim spielt <strong>de</strong>n Retter aus <strong>de</strong>r Not, sitzt schon am Flügel, hämmert mit zornigem,<br />
aufgewühltem Gesicht die c-Moll-Fantasie <strong>de</strong>s Johann Sebastian Bach, seine rechte Hand<br />
schlägt die Triller wie Alarmsignale. Ihm gegenüber steht Henriette, die Ellenbogen auf <strong>de</strong>n<br />
Flügel, <strong>de</strong>n Kopf in die Hän<strong>de</strong> gestützt, sie sehen sich an. Kennst du das noch, fragt<br />
Joachim mit <strong>de</strong>n Augen, und sie bestätigt ebenso: Ja, wie sollte ich nicht, spielte es oft<br />
genug, hörte es oft genug, <strong>von</strong> ihm gespielt, meinem Liebsten, oft genug, um es nicht zu<br />
vergessen. Doch wer weiß, vielleicht hätte ich’s auch dann nicht vergessen, wenn ich’s nur<br />
an diesem einen Tag gehört hätte, als wir Kin<strong>de</strong>r waren ...<br />
Weißt du noch, Henriettchen, damals erfuhren wir, dass es nicht nur <strong>de</strong>n Carl Philipp<br />
Emanuel Bach gibt, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>n Johann Sebastian gegeben hat ...<br />
Ich weiß, Joachim ...<br />
Sie nimmt endlich das <strong>Buch</strong>, das sie vorhin auf <strong>de</strong>n Flügel geschoben hatte, unter einen<br />
Notenberg. Er, spielend, beobachtet sie, bestätigt ihre unausgesprochene Frage mit <strong>de</strong>n<br />
Augen: Ja, Henriette, das ist endlich mein <strong>Buch</strong>, dahinein hab ich mich gerettet nach ihrem<br />
Tod, und nun geb ich’s dir, o<strong>de</strong>r brauchst du es nicht mehr, hast du ihren Tod schon<br />
verwun<strong>de</strong>n, vergessen?<br />
Sie lässt seinen Blick los, blättert in <strong>de</strong>m <strong>Buch</strong>, Gedichte; sie liest, und als sie ihn wie<strong>de</strong>r<br />
ansieht, verschwimmt ihr sein Gesicht hinter einem Schleier aus Tränen. Da sieht er auf<br />
seine Hän<strong>de</strong>, als könnte er sonst die Fantasie nicht zu En<strong>de</strong> bringen. Und sie hat das <strong>Buch</strong><br />
wie<strong>de</strong>r unter die Noten geschoben, hastig, als brenne es ihr in <strong>de</strong>r Hand.<br />
Außer Henriette klatschten alle, als Joachim aufstand.<br />
Ja, die Musik! sagte die Baronin mit verträumtem Augenaufschlag. Henriette dachte<br />
erbittert: Ach, Tante. <strong>Das</strong> hätten Sie damals nicht gesagt, da hatte es Sie getroffen.