mehr geschrieben? Michel begreift, welchen Kummer <strong>de</strong>r Alte in seinen letzten Lebensjahren mit sich herumgeschleppt hat, und heiß wird ihm vor Scham, <strong>de</strong>nn er begreift auch: Kein Vertrauen hat er mehr zu mir gehabt, nie hat er <strong>von</strong> diesem Kummer gesprochen und nie <strong>von</strong> diesen Briefen ... Er sammelt auch die Notenblätter ein, ent<strong>de</strong>ckt dabei - und sein Herz klopft vor Freu<strong>de</strong> - die Freimaurerbriefe Lessings, blättert darin, fin<strong>de</strong>t diesen Her<strong>de</strong>rsatz wie<strong>de</strong>r: „Zum Besten <strong>de</strong>r Menschheit kann niemand beitragen, <strong>de</strong>r nicht aus sich selber macht, was aus ihm wer<strong>de</strong>n kann und soll.“ Liest ihn laut, mehrmals, bis er ihn im Kopf hat. Steckt dann das alles nicht in <strong>de</strong>n Wäschekorb, son<strong>de</strong>rn unter sein Hemd, verschließt das Zimmer und die Haustür und geht hinüber zum Schloss, gebeugt unter <strong>de</strong>r Last <strong>de</strong>s Korbes, doch viel weniger ratlos, als er es in <strong>de</strong>n letzten Tagen war.
5 Natürlich steht <strong>de</strong>r Leutnant Michel Marten, Offizier <strong>de</strong>r Gran<strong>de</strong> Armee, jetzt nicht mehr am zugefrorenen See hinter <strong>de</strong>m Schlosspark. Da waren ihm die Füße kalt gewor<strong>de</strong>n, sodass er alle Wege <strong>de</strong>s Parks ablief, um sich zu erwärmen, dabei in seiner Brusttasche suchte und ein paar vielfach gefaltete, abgegriffene Briefe herauszog, las, wie<strong>de</strong>r wegsteckte. Im gleichen Augenblick hörte er die Kirchenglocke, und er eilte, aus <strong>de</strong>m Park zu kommen, <strong>de</strong>nn nicht <strong>de</strong>r Herrschaft wollte er jetzt begegnen, son<strong>de</strong>rn, wenn möglich, <strong>de</strong>m August Lemke. Gelangte auch noch rechtzeitig hinter die kleine Kapelle, bevor sie gemessenen Schritts aus <strong>de</strong>r Seitentür <strong>de</strong>r Kirche heraustraten: Baron und Baronin, Joachim und Friedrich und dann Henriette am Arm <strong>de</strong>s Joseph <strong>von</strong> Janke. Zum Schluss Halina und Maria, mit Decken und Kissen bela<strong>de</strong>n. Er sah sie, <strong>de</strong>nn er konnte es nicht lassen, um die Ecke <strong>de</strong>r Kapelle zu spähen, er sah vor allem Henriette. Und er wusste, was er noch gestern Abend nicht wahrhaben wollte: er liebte sie noch immer. Wirklich, Michel Marten? Aber weißt du <strong>de</strong>nn, wer sie ist - heute? Ist diese Frau <strong>von</strong> Janke <strong>de</strong>nn noch <strong>de</strong>ine Henriette? Wie kann sie noch Henriette sein, wenn sie <strong>von</strong> Janke heißt, Michel Marten. Während er so mit sich re<strong>de</strong>te, versuchte er das Gefühl zurückzuholen, das ihn vor Jahren überfallen hatte, in Hamburg, als Andreas Suhrbier sagte: Meine Schwester hat Post <strong>von</strong> ihrem Verlobten, Michel, in <strong>Bernsdorf</strong> war Hochzeit, die Henriette hat <strong>de</strong>n Herrn <strong>von</strong> Janke geehelicht. - Ein paar Wochen warst du da erst in Hamburg, Michel Marten, belogen und betrogen kamst du dir vor, und: ich lieb sie nicht mehr! hast du dir eingere<strong>de</strong>t, was soll das also jetzt, Michel Marten, natürlich liebst du sie nicht mehr, sie ist doch wie alle diese Herrschaften: launisch, vergesslich, selbstsüchtig. Und er suchte angestrengt nach an<strong>de</strong>ren Eigenschaften, mit <strong>de</strong>nen er Henriette ausstattete: überheblich, dachte er, oberflächlich, allzu anpassungsfähig, und er wusste nicht, dass er sich nur <strong>de</strong>shalb so anstrengte, weil er eine Stimme in sich zum Schweigen bringen wollte, die aber trotz<strong>de</strong>m unüberhörbar weitersprach: Deine Schuld, Michel Marten, <strong>de</strong>ine Schuld, <strong>de</strong>ine ... Bei all <strong>de</strong>m Sinnieren vergaß er, auf <strong>de</strong>n Strom <strong>de</strong>r Dorfbewohner zu achten, <strong>de</strong>r nun aus <strong>de</strong>m Hauptportal <strong>de</strong>r Kirche quoll, sich auf <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Wegen <strong>de</strong>s Kirchhofs ausbreitete, langsam an <strong>de</strong>r Kapelle vorbeifloss, und erst eine Stimme schreckte ihn auf, ein Satz, <strong>de</strong>r hieß: Sieh da, die französische Armee überwacht auch <strong>de</strong>n Weihnachtsgottesdienst! Ein Halbwüchsiger hatte das gerufen, laut und ungeniert, aber er wur<strong>de</strong> schnell zur Ordnung gerufen, flüsternd. Wussten doch die meisten seit gestern, dass dieser Franzose keiner war und also <strong>de</strong>utsch verstand. Michel stieß sich <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Mauer ab, an <strong>de</strong>r er gelehnt hatte, überwand Verlegenheit und Unsicherheit (warum eigentlich unsicher, Michel Marten?), mischte sich unter sie. Versuchte es. Aber es blieb ein Raum zwischen ihm und ihnen. Bin ich ein Aussätziger? dachte er wütend. Er re<strong>de</strong>te einen mit Namen an: Tag auch, Kröger-Hannes, kennst mich nicht mehr? Der wich mit <strong>de</strong>n Augen aus, murmelte: Doch, doch, Herr, kenn Sie schon noch. Und fügte noch hinzu, nach kurzer Pause: Haben sehr schön gespielt vorhin.
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Impressum Elke Nagel (Willkomm) Das
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1. Kapitel 1 Die Glocke. Hörst du,
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Etüden, Präludien und Toccaten, d
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2 Hinter den letzten, scheppernden
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- Seite 12 und 13: 3 „Und hat ein Blümlein bracht .
- Seite 14 und 15: 4 Jetzt war sie weit entfernt von s
- Seite 16 und 17: Inzwischen haben Sie sich in Ihre U
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- Seite 22 und 23: sie eben für ihr seelisches Gleich
- Seite 24 und 25: 6 Henriette zuckte zusammen, als Jo
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- Seite 32 und 33: Schließlich ist der Inspektor gega
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- Seite 36 und 37: 2. Kapitel 1 Mit hängenden Schulte
- Seite 38 und 39: das Kienast zusammenzucken ließ -
- Seite 40 und 41: Aber neugierig war ich. Ich wollte
- Seite 42 und 43: den Traum: „Der Orden der Rosenkr
- Seite 44 und 45: davor Angst, Henriette? Nein, du, i
- Seite 46 und 47: 3 Wie lange schwieg die Orgel schon
- Seite 48 und 49: Aber Janke wollte Macht und Reichtu
- Seite 50 und 51: Das Gespräch wird mehr und mehr zu
- Seite 52 und 53: ehrlichem Herzen die absolute Wahrh
- Seite 54 und 55: 4 Eine Woche nach der Beerdigung Ja
- Seite 56 und 57: kämen dabei auch ein. Zu allem nic
- Seite 58 und 59: Schulen“, es wird Sie interessier
- Seite 62 und 63: Da sagte die Frau neben ihm: Ja, se
- Seite 64 und 65: Uniform, die euch nicht gefällt? E
- Seite 66 und 67: 3. Kapitel 1 Henriette, während si
- Seite 68 und 69: welche nötig, und der Heirat mit E
- Seite 70 und 71: Vom Revolutionsfieber sind hier all
- Seite 72 und 73: 2 Es klopfte, Henriette zuckte zusa
- Seite 74 und 75: sagte: Ich will mit, Michel? Da has
- Seite 76 und 77: Ja, da wolltest du. Aber schon da h
- Seite 78 und 79: Dem Janke tust du einen Gefallen, h
- Seite 80 und 81: nämlich manchmal, die beiden Alten
- Seite 82 und 83: denken können. Mir entging aber ni
- Seite 84 und 85: 4 Henriette war erleichtert, als si
- Seite 86 und 87: Sie ist unzerbrechbar, hast du mir
- Seite 88 und 89: hast du denn mit deinem Kleid gemac
- Seite 90 und 91: hat er doch aller Welt gezeigt, wie
- Seite 92 und 93: 5 Es schneite noch immer. Terrasse
- Seite 94 und 95: einkaufen bei Euch. Hä, machte der
- Seite 96 und 97: Fällt draußen noch der Novemberre
- Seite 98 und 99: Wiedersehen. Und er lauscht lange a
- Seite 100 und 101: Da drehte sich Tadeusz Piotrowski z
- Seite 102 und 103: Andreas! Da wacht er auf, sieht den
- Seite 104 und 105: Mit jedem Schritt nähern sie sich
- Seite 106 und 107: Anhängern, verschwinde aus meinem
- Seite 108 und 109: es zu breit ist? Verstehst du? Und
- Seite 110 und 111:
esseren Bund zu begründen zu Deuts
- Seite 112 und 113:
Bach. Die verhaltene Trauer des Sat
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unserer Bude in Erfurt - Hinterhof,
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Und Marianne war nicht mehr bei ihm
- Seite 118 und 119:
Präsent zum Geburtstag, keine Gans
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5 Sacré matin, sacré chien, sacr
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eingeredet, ich kann ihn doch nun n
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6 Da stehen sie an der Seine, Heinr
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Wenn du willst, sagt Heinrich. Ich
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Seit ca. 1984 Nachdichtungen aus de
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und „Der fingerkleine Kobold“