Das Mirakel von Bernsdorf - Demo - Buch.de
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Der Baron stand auf <strong>de</strong>r obersten Stufe <strong>de</strong>r Freitreppe: Haltung militärisch-stramm, Gesicht<br />
mürrisch-leutselig. In <strong>de</strong>n Knöpfen seiner Uniform funkelte die Sonne, die, schräg vom See<br />
her, durch die kahlen dünnen Äste <strong>de</strong>r hohen Bäume auf ihn fiel, <strong>de</strong>n Hauptakteur, Held <strong>de</strong>s<br />
Tages im Rampenlicht. Die Farbe seines Rocks glich <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Schnees auf <strong>de</strong>n<br />
Treppenstufen.<br />
Zu Füßen <strong>de</strong>r Treppe stan<strong>de</strong>n sie im Schatten: die <strong>Bernsdorf</strong>er. Eng aneinan<strong>de</strong>rgedrängt,<br />
ein dunkler Fleck, hinter ihm Park und See, vor ihm die Treppe. Seitlich die Kin<strong>de</strong>r;<br />
Schulmeister Johannes Rietz humpelte an <strong>de</strong>r schnurgera<strong>de</strong>n Reihe entlang, schubste hier,<br />
rückte dort; aus Holzpantinen, unter <strong>de</strong>nen sich <strong>de</strong>r Schnee ballte, froren ein paar Dutzend<br />
dünne Beine hervor. Verstohlen hebt sich hier und dort eins und reibt sich am an<strong>de</strong>ren.<br />
Obwohl man darauf gewartet hatte, zuckten alle zusammen, als die Kin<strong>de</strong>r plötzlich zu<br />
singen begannen: „Lobet <strong>de</strong>n Herren, <strong>de</strong>n mächtigen König <strong>de</strong>r Ehren.“ Sie sangen laut,<br />
rissen die Mün<strong>de</strong>r weit auf, die Töne gefroren zu weißen Dampfwölkchen vor<br />
Kin<strong>de</strong>rgesichtern.<br />
Aus <strong>de</strong>r Tür heraus und über die Treppe schob sich nun das Gefolge <strong>de</strong>s Hel<strong>de</strong>n:<br />
Dorothea, Joachim, Henriette und Janke marschierten hinter <strong>de</strong>m alten Herrn auf.<br />
„Lasset <strong>de</strong>n Lobgesang hören.“ Die Mün<strong>de</strong>r klappten zu, die Dampfwölkchen wur<strong>de</strong>n<br />
kleiner. Pfarrer Kienast stand plötzlich neben <strong>de</strong>m lahmen Rietz, sprach die Freitreppe<br />
hinauf wohlgeformte, endlos lange Sätze, Lob <strong>de</strong>s Herrn <strong>von</strong> <strong>Bernsdorf</strong>, Glückwünsche,<br />
langes Leben und Gottes Segen und diese Re<strong>de</strong>nsarten; dann ließ er <strong>de</strong>n oben Stehen<strong>de</strong>n,<br />
<strong>de</strong>n Hauptakteur, hochleben, dreimal, wie es sich gehörte, mit auffor<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>r Geste zum<br />
dunklen Fleck <strong>de</strong>r <strong>Bernsdorf</strong>er hinter ihm; das Echo, dreimal, blieb nicht aus, klang aber<br />
gefroren.<br />
Nun wie<strong>de</strong>r die Kin<strong>de</strong>r; es läuft wie am Schnürchen, sagt das zufrie<strong>de</strong>ne Kienast-Gesicht.<br />
Es schien <strong>de</strong>n Herrn Pfarrer nicht zu stören, dass jetzt „Ein feste Burg ist unser Gott“<br />
gesungen wur<strong>de</strong>, er sah sich nicht nach <strong>de</strong>n <strong>Bernsdorf</strong>bauern um, er sah <strong>de</strong>n August Lemke<br />
nicht, also störte ihn auch nicht dieses „Und wenn die Welt voll Teufel wär ...“.<br />
August Lemke, in <strong>de</strong>r ersten Reihe <strong>de</strong>s dunklen Flecks stehend, hatte bisher nervös die<br />
Hän<strong>de</strong> geknetet, ab und zu auch nach <strong>de</strong>m Zettel im Sonntagsrock gefühlt; jetzt stand er<br />
plötzlich still, und in seinen Augen leuchtete etwas, das ihm nur aus diesen Worten<br />
gekommen sein konnte: „Es muss uns doch gelingen ... Ein Wörtlein kann ihn fällen.“ Und<br />
mit Sicherheit ist anzunehmen, dass er weniger fromme Gedanken dabei hatte als weiland<br />
<strong>de</strong>r Herr Martin Luther zu Wittenberg.<br />
„<strong>Das</strong> Reich muss uns doch bleiben.“<br />
August machte einen Schritt nach vorn, zog dabei <strong>de</strong>n Zettel aus <strong>de</strong>r Tasche, faltete ihn<br />
umständlich auseinan<strong>de</strong>r. Und las. (Er liest nicht stockend. Er war, das ist lange her, ein<br />
Lieblingsschüler <strong>de</strong>s Jakob Marten. Dich würd ich studieren schicken, wenn ich könnte, hat<br />
<strong>de</strong>r alte Marten zu ihm gesagt, aber ich kann nicht mal <strong>de</strong>n Michel schicken ...) Zuerst die<br />
Gratulation. Es fehlte nicht das Wort „untertänigst“. Dann die Bitte um Nachsicht - kein