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Das Mirakel von Bernsdorf - Demo - Buch.de

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4<br />

Der Baron stand auf <strong>de</strong>r obersten Stufe <strong>de</strong>r Freitreppe: Haltung militärisch-stramm, Gesicht<br />

mürrisch-leutselig. In <strong>de</strong>n Knöpfen seiner Uniform funkelte die Sonne, die, schräg vom See<br />

her, durch die kahlen dünnen Äste <strong>de</strong>r hohen Bäume auf ihn fiel, <strong>de</strong>n Hauptakteur, Held <strong>de</strong>s<br />

Tages im Rampenlicht. Die Farbe seines Rocks glich <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Schnees auf <strong>de</strong>n<br />

Treppenstufen.<br />

Zu Füßen <strong>de</strong>r Treppe stan<strong>de</strong>n sie im Schatten: die <strong>Bernsdorf</strong>er. Eng aneinan<strong>de</strong>rgedrängt,<br />

ein dunkler Fleck, hinter ihm Park und See, vor ihm die Treppe. Seitlich die Kin<strong>de</strong>r;<br />

Schulmeister Johannes Rietz humpelte an <strong>de</strong>r schnurgera<strong>de</strong>n Reihe entlang, schubste hier,<br />

rückte dort; aus Holzpantinen, unter <strong>de</strong>nen sich <strong>de</strong>r Schnee ballte, froren ein paar Dutzend<br />

dünne Beine hervor. Verstohlen hebt sich hier und dort eins und reibt sich am an<strong>de</strong>ren.<br />

Obwohl man darauf gewartet hatte, zuckten alle zusammen, als die Kin<strong>de</strong>r plötzlich zu<br />

singen begannen: „Lobet <strong>de</strong>n Herren, <strong>de</strong>n mächtigen König <strong>de</strong>r Ehren.“ Sie sangen laut,<br />

rissen die Mün<strong>de</strong>r weit auf, die Töne gefroren zu weißen Dampfwölkchen vor<br />

Kin<strong>de</strong>rgesichtern.<br />

Aus <strong>de</strong>r Tür heraus und über die Treppe schob sich nun das Gefolge <strong>de</strong>s Hel<strong>de</strong>n:<br />

Dorothea, Joachim, Henriette und Janke marschierten hinter <strong>de</strong>m alten Herrn auf.<br />

„Lasset <strong>de</strong>n Lobgesang hören.“ Die Mün<strong>de</strong>r klappten zu, die Dampfwölkchen wur<strong>de</strong>n<br />

kleiner. Pfarrer Kienast stand plötzlich neben <strong>de</strong>m lahmen Rietz, sprach die Freitreppe<br />

hinauf wohlgeformte, endlos lange Sätze, Lob <strong>de</strong>s Herrn <strong>von</strong> <strong>Bernsdorf</strong>, Glückwünsche,<br />

langes Leben und Gottes Segen und diese Re<strong>de</strong>nsarten; dann ließ er <strong>de</strong>n oben Stehen<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>n Hauptakteur, hochleben, dreimal, wie es sich gehörte, mit auffor<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>r Geste zum<br />

dunklen Fleck <strong>de</strong>r <strong>Bernsdorf</strong>er hinter ihm; das Echo, dreimal, blieb nicht aus, klang aber<br />

gefroren.<br />

Nun wie<strong>de</strong>r die Kin<strong>de</strong>r; es läuft wie am Schnürchen, sagt das zufrie<strong>de</strong>ne Kienast-Gesicht.<br />

Es schien <strong>de</strong>n Herrn Pfarrer nicht zu stören, dass jetzt „Ein feste Burg ist unser Gott“<br />

gesungen wur<strong>de</strong>, er sah sich nicht nach <strong>de</strong>n <strong>Bernsdorf</strong>bauern um, er sah <strong>de</strong>n August Lemke<br />

nicht, also störte ihn auch nicht dieses „Und wenn die Welt voll Teufel wär ...“.<br />

August Lemke, in <strong>de</strong>r ersten Reihe <strong>de</strong>s dunklen Flecks stehend, hatte bisher nervös die<br />

Hän<strong>de</strong> geknetet, ab und zu auch nach <strong>de</strong>m Zettel im Sonntagsrock gefühlt; jetzt stand er<br />

plötzlich still, und in seinen Augen leuchtete etwas, das ihm nur aus diesen Worten<br />

gekommen sein konnte: „Es muss uns doch gelingen ... Ein Wörtlein kann ihn fällen.“ Und<br />

mit Sicherheit ist anzunehmen, dass er weniger fromme Gedanken dabei hatte als weiland<br />

<strong>de</strong>r Herr Martin Luther zu Wittenberg.<br />

„<strong>Das</strong> Reich muss uns doch bleiben.“<br />

August machte einen Schritt nach vorn, zog dabei <strong>de</strong>n Zettel aus <strong>de</strong>r Tasche, faltete ihn<br />

umständlich auseinan<strong>de</strong>r. Und las. (Er liest nicht stockend. Er war, das ist lange her, ein<br />

Lieblingsschüler <strong>de</strong>s Jakob Marten. Dich würd ich studieren schicken, wenn ich könnte, hat<br />

<strong>de</strong>r alte Marten zu ihm gesagt, aber ich kann nicht mal <strong>de</strong>n Michel schicken ...) Zuerst die<br />

Gratulation. Es fehlte nicht das Wort „untertänigst“. Dann die Bitte um Nachsicht - kein

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