Das Mirakel von Bernsdorf - Demo - Buch.de
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es zu breit ist? Verstehst du?<br />
Und dann hörte er die gleiche Stimme etwas an<strong>de</strong>res sagen: Die Festung wollt ihr ansehen?<br />
Na schön, macht das, aber ohne mich ... Er been<strong>de</strong>te <strong>de</strong>n Choral und saß minutenlang<br />
regungslos vor <strong>de</strong>r Orgel. Dann stand er auf und ging langsam und voll <strong>von</strong> Angst, die er<br />
sich nicht eingestand, um die Orgel herum zum Blasebalg. Doch dort war niemand mehr. Er<br />
setzte sich auf die oberste Stufe <strong>de</strong>r schmalen Wen<strong>de</strong>ltreppe, ratlos, erschrocken, aber<br />
auch erleichtert.<br />
Die Festung wollt ihr ansehen, sagt Heinrich Marten, na schön, macht das, aber ohne mich.<br />
Er setzt sich auf <strong>de</strong>n Brunnenrand (kleiner Platz, marktähnlich, niedrige Bürgerhäuser, bei<br />
Weitem nicht so prachtvoll wie in <strong>de</strong>r Innenstadt - Würzburg, Bischofssitz).<br />
Sie sehen sich also die Festung an - Michel, Andreas und dieser Stu<strong>de</strong>nt Alois, <strong>de</strong>n sie seit<br />
ein paar Stun<strong>de</strong>n kennen, ein dicklicher Medizinstu<strong>de</strong>nt mit sanfter Stimme und langsamen,<br />
weichen Bewegungen, mit großen erstaunten Kin<strong>de</strong>raugen; sie mochten ihn vom ersten<br />
Moment ihrer Bekanntschaft an.<br />
Im Zeughaus auf <strong>de</strong>r Festung stehen zwei eroberte Fahnen, Bundschuhfahnen, <strong>von</strong> <strong>de</strong>s<br />
Würzburger Bischofs Heerscharen im Bauernkrieg erbeutete Fahnen. Sie stechen ihnen<br />
sofort in die Augen. Sie verständigen sich mit Blicken. Michel bleibt in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>r Fahnen.<br />
Andreas und Alois verwickeln <strong>de</strong>n alten, etwas begriffsstutzigen Wärter in ein verzwicktes<br />
Gespräch: Hat ein Bischof sein Amt <strong>von</strong> Gott o<strong>de</strong>r vom Kaiser? Wenn <strong>von</strong> Gott - warum<br />
dann eine solche kriegerische Macht, wie dies Zeughaus für Vergangenheit und Gegenwart<br />
bekun<strong>de</strong>t? Wenn vom Kaiser - wi<strong>de</strong>rspricht das nicht seinem Amt als Diener Gottes?<br />
Re<strong>de</strong>nd entfernen sie sich in <strong>de</strong>n Nebenraum.<br />
Michel greift rasch nach <strong>de</strong>m Fahnentuch, zieht es vom Schaft, faltet es zusammen, steckt<br />
es unter sein Hemd. Geht dann langsam <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren nach. Und dann haben sie es eilig,<br />
<strong>von</strong> <strong>de</strong>r Festung zu kommen.<br />
Heinrich Marten sitzt noch immer auf <strong>de</strong>m Brunnenrand, ein Stück Papier auf <strong>de</strong>n Knien.<br />
Hier, sagt er, mein Leitartikel für die erste Nummer unserer Zeitschrift ist fertig: Was tut<br />
<strong>de</strong>n Deutschen not? Und er liest, halblaut, mit vor Erregung zittern<strong>de</strong>r Stimme, seinen<br />
Revolutionsaufruf.<br />
Denn <strong>von</strong> Frankreich nach Deutschland sind sie zurückgegangen, um ihre Zeitschrift zu<br />
grün<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>n seit Kurzem wie<strong>de</strong>r siegreichen französischen Armeen in die Hän<strong>de</strong><br />
arbeiten soll - Deutschland für die Revolution in Bewegung bringen, nicht mehr und nicht<br />
weniger wollen sie.<br />
Schön und gut, sagt Andreas, als Heinrich zu En<strong>de</strong> gelesen hat, aber damit lockst du <strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>utschen Bauern nicht vom Pflug fort, <strong>de</strong>n Bürger nicht aus seiner Manufaktur, <strong>de</strong>n<br />
Spießbürger nicht hinterm Ofen hervor ...<br />
Was geht mich <strong>de</strong>r Spießbürger an, unterbricht Heinrich ihn hitzig, das Volk, das Volk geht<br />
mich an, <strong>de</strong>nn ...