Das Mirakel von Bernsdorf - Demo - Buch.de
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<strong>Das</strong> Gespräch wird mehr und mehr zu einem gemurmelten Monolog <strong>de</strong>s Pfarrers. Langsam<br />
lehnt die Baronin sich zurück. Ebenso langsam folgt sein Kopf ihrer Bewegung, seine Augen<br />
lassen sie nicht los, mit <strong>de</strong>r rechten Hand streicht er über ihr Gesicht, dann löst die linke<br />
sich vorsichtig aus <strong>de</strong>r ihren, legt sich auf ihre Brust, liegt nicht ruhig dort, gleitet dann über<br />
ihren Leib, <strong>de</strong>r zu zittern beginnt, gleitet zum Schoß, liegt auch dort nicht ruhig, sie zittert<br />
stärker, da holt er seine Hän<strong>de</strong> zurück, bei<strong>de</strong>, schiebt seinen Kopf so nahe an ihren, dass<br />
es aussieht, als wolle er sie küssen, er tut das wohl auch, möglich ist es schon, vor allem<br />
begutachtet er aber ihre Pupillen, horcht auf ihren Atem, richtet sich schließlich auf und sagt<br />
leise - zufrie<strong>de</strong>n und stolz, nicht ohne Erregung -: Sie schläft. Gebt nun acht, meine<br />
Freun<strong>de</strong>. Er ruft ihren Namen. Leise, eindringlich.<br />
Sie wirft <strong>de</strong>n Kopf hin und her, stöhnt gequält.<br />
Noch einmal ruft er ihren Namen, stärker, befehlen<strong>de</strong>r, sie zuckt wie unter einem<br />
Peitschenhieb, da sagt er, immer in diesem leisen, kalten Befehlston: Sage, was du siehst,<br />
Dorothea.<br />
Sie bewegt die Lippen, noch ist nichts zu verstehen. Dann kommen Worte, Satzbrocken,<br />
sinnloses Gestammel, was soll man damit anfangen? Von Wasser und Feuer ist die Re<strong>de</strong>.<br />
Erschlagen soll jemand wer<strong>de</strong>n. Da wird Blut fließen. Fliehen muss man und sich verbergen.<br />
Ein Namenloser, er wird Du genannt. Oft kommt nun dieses Du, einem Hilferuf ähnlich.<br />
Offensichtlich ist er im Besitz <strong>de</strong>s Schwertes Gi<strong>de</strong>on. Hier folgen noch an<strong>de</strong>re<br />
apokalyptische An<strong>de</strong>utungen, <strong>von</strong> <strong>de</strong>r babylonischen Hure ist die Re<strong>de</strong>, Paris wird gerufen<br />
(ein schriller Aufschrei das), und dann bekommt das Du einen Namen, <strong>de</strong>n Namen Ikarus,<br />
flieg nicht, ruft die Frau, aber ihrem lange anhalten<strong>de</strong>n Stöhnen ist zu entnehmen, dass er<br />
doch geflogen ist und abgestürzt, verbrannt, ruft sie, das Feuer wird uns verschlingen, alle<br />
alle ...<br />
Hier nun springt Henriette auf - mühsam zurückgehalten hat sie bisher Abscheu, Empörung,<br />
Mitleid -, sie ruft, nein, sie schreit: Aufwachen, wachen Sie doch auf, Tante, es ist ja nichts.<br />
Sie stürzt zu Dorothea, sie umfasst sie, sie lässt ihre Tränen laufen, hemmungslos, und<br />
Dorothea, aufwachend, verstört um sich blickend, streichelt das Mädchen, das ihr am Hals<br />
hängt, fragt erschrocken: Was <strong>de</strong>nn, Henriettchen, was ist <strong>de</strong>nn, wer hat dir <strong>de</strong>nn was<br />
getan? Und sieht erstaunt auf <strong>de</strong>n wütend dreinblicken<strong>de</strong>n Janke und auf Pfarrer Kienast,<br />
<strong>de</strong>r am Tisch sitzt und mit fliegen<strong>de</strong>r Fe<strong>de</strong>r die letzten Sätze ihrer Traumre<strong>de</strong> festhält,<br />
unwillig vor sich hin murmelnd: Diese Kin<strong>de</strong>r, wer hat ihnen <strong>de</strong>nn gestattet, dabei zu sein,<br />
waren Sie das, Janke, so ein Unverstand ...<br />
Dann überfliegt er seine Notizen, nickt zufrie<strong>de</strong>n, trotz<strong>de</strong>m, sagt er, man kann etwas damit<br />
anfangen, Joseph.<br />
Und er schiebt die Vorhänge beiseite, öffnet die Terrassentür, winkt Janke ungeduldig, ihm<br />
zu folgen.<br />
Michel Marten geht ihnen nach, ist bemüht, sich kein Wort entgehen zu lassen, bemüht<br />
auch, Zorn und Abscheu zu vergessen, für <strong>de</strong>n nächsten Moment zu vergessen, aber er<br />
weiß ganz genau: Er hasst diese bei<strong>de</strong>n Männer, <strong>de</strong>nen er jetzt folgt, und er glaubt ihnen<br />
nichts mehr.