Das Mirakel von Bernsdorf - Demo - Buch.de
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Hinter <strong>de</strong>n letzten, scheppern<strong>de</strong>n Ton <strong>de</strong>r Kirchenglocke setzte <strong>de</strong>r Baron einen<br />
Schlusspunkt: eisenbeschlagener Knotenstock auf <strong>de</strong>n Fliesen <strong>de</strong>r Diele, <strong>de</strong>r lehnte dann in<br />
<strong>de</strong>r Ecke, knorrig und gewichtig, sichtbar je<strong>de</strong>m Eintreten<strong>de</strong>n.<br />
Mit leisem, pfeifen<strong>de</strong>m Geräusch flog das Gesangbuch auf die Konsole, begleitet <strong>von</strong> einem<br />
wehmütig-vorwurfsvollen Blick <strong>de</strong>r Baronin, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r alte Herr übersah. Ächzend sank er in<br />
<strong>de</strong>n grüngepolsterten Lehnstuhl, streckte Ta<strong>de</strong>usz Piotrowski die Füße entgegen, <strong>de</strong>r zog -<br />
schweigend, beflissen, mit undurchdringlicher Miene - die Stiefel <strong>von</strong> <strong>de</strong>n mageren<br />
Greisenbeinen.<br />
Türen schlugen, ein paar Takte Klaviermusik klangen auf, brachen unvermittelt ab, als hätte<br />
nur jemand im Vorbeigehen das Klavier begrüßt; Gänsebratenduft zog durch die Räume,<br />
vielversprechend, dachte Wilhelm <strong>von</strong> <strong>Bernsdorf</strong>, noch immer im Lehnstuhl ausgestreckt, in<br />
Hauspantoffeln jetzt, bestickten, weiter oben aber in preußischer Generalsuniform, behängt<br />
mit Or<strong>de</strong>n und Ehrenzeichen, mit wuchtigen Schulterstücken bela<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Bauch, leicht<br />
verfettet, wölbte sich und verursachte einige unmilitärische Falten im schneeweißen Rock;<br />
das Gesicht zerfurcht (rüstiger Siebziger), weißgrauer Schnauzbart unter <strong>de</strong>r übergroßen,<br />
gebogenen Nase, über <strong>de</strong>m verkniffenen Mund; das Kinn glatt rasiert und spitz, energisch<br />
vorgestreckt; die Augen eigensinnig und sehr blau, hinter Tränensäcken und starken<br />
Jochbögen verschanzt; spärliches Haar, weiß-grau; die Perücke (weiß, mit Zopf) lag<br />
inzwischen neben <strong>de</strong>m Gesangbuch auf <strong>de</strong>r Konsole.<br />
Ihm war behaglich.<br />
Er schloss genüsslich die Augen und lehnte <strong>de</strong>n Kopf an, die Füße weit <strong>von</strong> sich gestreckt,<br />
die blau geä<strong>de</strong>rten Hän<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>n langen, dürren Fingern über <strong>de</strong>m Bauch gefaltet.<br />
Diese Behaglichkeit wür<strong>de</strong> ein flüchtiges Gefühl sein, und er ahnte das, horchte auf die<br />
Geräusche <strong>de</strong>s Hauses (Tellerklappern, leise Stimmen aus <strong>de</strong>m Terrassenzimmer,<br />
neuerlich ein paar Takte Musik, dann die volle, dunkle Stimme Joachims, Friedrichs Diskant,<br />
Henriettes Lachen), und er dachte: Übermorgen siebzig Jahre. Wer<strong>de</strong>n alle angekrochen<br />
kommen. Hofrat schon da, verfluchter Schleimscheißer, erschlichener A<strong>de</strong>l. Und Hamburger<br />
Pfeffersack wird kommen, <strong>de</strong>r Suhrbier. Und sein missratenes Früchtchen, dieser Andreas<br />
Suhrbier. Dieser Jakobiner. Ein Jakobiner unter meinem Dach. Unglaublich. <strong>Das</strong> verzeiht ER<br />
mir nie.<br />
Wi<strong>de</strong>rwillig öffnete er die Augen, Scham überfiel ihn wie seit Jahren, wenn er <strong>de</strong>r<br />
angeheirateten Verwandtschaft gedachte. Und wie immer in solchen Augenblicken suchte er<br />
IHM Rechenschaft zu geben. SEIN Bildnis, lebensgroß, hing in <strong>de</strong>r Diele, <strong>de</strong>m Lehnstuhl<br />
gegenüber, es zeigte IHN stehend, mit verkniffenem Mund und klugen, kalten Augen.<br />
Eure Majestät, dachte <strong>de</strong>r Baron gequält, Herrmann, mein Zweitgeborener, hat mir das<br />
angetan, ist sonst <strong>de</strong>r beste <strong>von</strong> meinen Söhnen, einziger Militär (<strong>de</strong>r Irrtum, <strong>de</strong>n gera<strong>de</strong><br />
abwesen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Söhne für <strong>de</strong>n besten zu halten, wi<strong>de</strong>rfuhr <strong>de</strong>m Baron nicht zum ersten<br />
Mal), aber diese Heirat, mein Gott, dabei stellte ich vor Heirat doch Bedingung, besagtes<br />
Subjekt ist zu enterben, wur<strong>de</strong> enterbt, ja, wie kommt Verbrecher trotz<strong>de</strong>m in mein Haus,