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Das Mirakel von Bernsdorf - Demo - Buch.de

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2<br />

Hinter <strong>de</strong>n letzten, scheppern<strong>de</strong>n Ton <strong>de</strong>r Kirchenglocke setzte <strong>de</strong>r Baron einen<br />

Schlusspunkt: eisenbeschlagener Knotenstock auf <strong>de</strong>n Fliesen <strong>de</strong>r Diele, <strong>de</strong>r lehnte dann in<br />

<strong>de</strong>r Ecke, knorrig und gewichtig, sichtbar je<strong>de</strong>m Eintreten<strong>de</strong>n.<br />

Mit leisem, pfeifen<strong>de</strong>m Geräusch flog das Gesangbuch auf die Konsole, begleitet <strong>von</strong> einem<br />

wehmütig-vorwurfsvollen Blick <strong>de</strong>r Baronin, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r alte Herr übersah. Ächzend sank er in<br />

<strong>de</strong>n grüngepolsterten Lehnstuhl, streckte Ta<strong>de</strong>usz Piotrowski die Füße entgegen, <strong>de</strong>r zog -<br />

schweigend, beflissen, mit undurchdringlicher Miene - die Stiefel <strong>von</strong> <strong>de</strong>n mageren<br />

Greisenbeinen.<br />

Türen schlugen, ein paar Takte Klaviermusik klangen auf, brachen unvermittelt ab, als hätte<br />

nur jemand im Vorbeigehen das Klavier begrüßt; Gänsebratenduft zog durch die Räume,<br />

vielversprechend, dachte Wilhelm <strong>von</strong> <strong>Bernsdorf</strong>, noch immer im Lehnstuhl ausgestreckt, in<br />

Hauspantoffeln jetzt, bestickten, weiter oben aber in preußischer Generalsuniform, behängt<br />

mit Or<strong>de</strong>n und Ehrenzeichen, mit wuchtigen Schulterstücken bela<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Bauch, leicht<br />

verfettet, wölbte sich und verursachte einige unmilitärische Falten im schneeweißen Rock;<br />

das Gesicht zerfurcht (rüstiger Siebziger), weißgrauer Schnauzbart unter <strong>de</strong>r übergroßen,<br />

gebogenen Nase, über <strong>de</strong>m verkniffenen Mund; das Kinn glatt rasiert und spitz, energisch<br />

vorgestreckt; die Augen eigensinnig und sehr blau, hinter Tränensäcken und starken<br />

Jochbögen verschanzt; spärliches Haar, weiß-grau; die Perücke (weiß, mit Zopf) lag<br />

inzwischen neben <strong>de</strong>m Gesangbuch auf <strong>de</strong>r Konsole.<br />

Ihm war behaglich.<br />

Er schloss genüsslich die Augen und lehnte <strong>de</strong>n Kopf an, die Füße weit <strong>von</strong> sich gestreckt,<br />

die blau geä<strong>de</strong>rten Hän<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>n langen, dürren Fingern über <strong>de</strong>m Bauch gefaltet.<br />

Diese Behaglichkeit wür<strong>de</strong> ein flüchtiges Gefühl sein, und er ahnte das, horchte auf die<br />

Geräusche <strong>de</strong>s Hauses (Tellerklappern, leise Stimmen aus <strong>de</strong>m Terrassenzimmer,<br />

neuerlich ein paar Takte Musik, dann die volle, dunkle Stimme Joachims, Friedrichs Diskant,<br />

Henriettes Lachen), und er dachte: Übermorgen siebzig Jahre. Wer<strong>de</strong>n alle angekrochen<br />

kommen. Hofrat schon da, verfluchter Schleimscheißer, erschlichener A<strong>de</strong>l. Und Hamburger<br />

Pfeffersack wird kommen, <strong>de</strong>r Suhrbier. Und sein missratenes Früchtchen, dieser Andreas<br />

Suhrbier. Dieser Jakobiner. Ein Jakobiner unter meinem Dach. Unglaublich. <strong>Das</strong> verzeiht ER<br />

mir nie.<br />

Wi<strong>de</strong>rwillig öffnete er die Augen, Scham überfiel ihn wie seit Jahren, wenn er <strong>de</strong>r<br />

angeheirateten Verwandtschaft gedachte. Und wie immer in solchen Augenblicken suchte er<br />

IHM Rechenschaft zu geben. SEIN Bildnis, lebensgroß, hing in <strong>de</strong>r Diele, <strong>de</strong>m Lehnstuhl<br />

gegenüber, es zeigte IHN stehend, mit verkniffenem Mund und klugen, kalten Augen.<br />

Eure Majestät, dachte <strong>de</strong>r Baron gequält, Herrmann, mein Zweitgeborener, hat mir das<br />

angetan, ist sonst <strong>de</strong>r beste <strong>von</strong> meinen Söhnen, einziger Militär (<strong>de</strong>r Irrtum, <strong>de</strong>n gera<strong>de</strong><br />

abwesen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Söhne für <strong>de</strong>n besten zu halten, wi<strong>de</strong>rfuhr <strong>de</strong>m Baron nicht zum ersten<br />

Mal), aber diese Heirat, mein Gott, dabei stellte ich vor Heirat doch Bedingung, besagtes<br />

Subjekt ist zu enterben, wur<strong>de</strong> enterbt, ja, wie kommt Verbrecher trotz<strong>de</strong>m in mein Haus,

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