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Das Mirakel von Bernsdorf - Demo - Buch.de

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4. Kapitel<br />

1<br />

Gegen Mitternacht hatte es zu schneien aufgehört. Leichter Ostwind kam auf und trieb die<br />

Wolken vor sich her, fetzte sie über <strong>de</strong>n tief am Himmel hängen<strong>de</strong>n Mond, fegte <strong>de</strong>n<br />

Himmel für die Sterne frei, und <strong>de</strong>r Frost fiel herunter auf das schlafen<strong>de</strong> Dorf. Hörbar war<br />

die Stille.<br />

Dann schlug die Kirchturmuhr viermal.<br />

Im Hof <strong>de</strong>s Pfarrhauses regte sich <strong>de</strong>r Kettenhund in seiner Hütte, hob <strong>de</strong>n Kopf, kroch ins<br />

Freie, reckte <strong>de</strong>n Hals in die Frostluft und begann zu heulen, leise erst, er ließ die Töne<br />

anschwellen und abklingen, anschwellen, abklingen, immer lauter, ausdauernd und<br />

nachdrücklich.<br />

Sein Geheul drang in <strong>de</strong>n Pfer<strong>de</strong>stall <strong>de</strong>s Pfarrhauses, aus <strong>de</strong>m Traum fuhr <strong>de</strong>r Mann, <strong>de</strong>r<br />

dort unter alten Decken auf einer Strohschütte geschlafen hatte, wollte auffahren,<br />

aufstehen, wie er’s seit je gewohnt war beim Erwachen, begriff nicht, was ihn heute daran<br />

hin<strong>de</strong>rte, erinnerte sich nicht, warum er gefesselt lag. Langsam und bedächtig befreite er<br />

sich <strong>von</strong> <strong>de</strong>m Strick, <strong>de</strong>r gar nicht sehr fest um Arme und Beine gewun<strong>de</strong>n war, gegen <strong>de</strong>n<br />

er gestern vergeblich gewütet hatte. Ebenso langsam, mit traumwandlerischer Sicherheit<br />

aber, stand er auf, suchte nach <strong>de</strong>r Laterne und entzün<strong>de</strong>te sie, hinkte auf <strong>de</strong>n Hof und<br />

kettete <strong>de</strong>n Hund los, <strong>de</strong>r nun leise bellend seinen Befreier umwe<strong>de</strong>lte. Bei<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r Mann<br />

und <strong>de</strong>r Hund, gingen zum Hoftor hinaus auf <strong>de</strong>n Kirchhof zu; das Licht <strong>de</strong>r Laterne geisterte<br />

vor ihnen her auf <strong>de</strong>r Schnee<strong>de</strong>cke. Aus <strong>de</strong>m Dorf war jetzt das Brüllen <strong>de</strong>r hungrigen Kühe<br />

zu hören.<br />

In <strong>de</strong>r Kapelle hockte <strong>de</strong>r Mann sich auf die Er<strong>de</strong>. Die Kälte drang durch seine dünne<br />

Kleidung, er spürte sie nicht; <strong>de</strong>r Hunger wühlte in seinem Magen, ihn fühlte er und suchte in<br />

seinen Taschen; er fand ein Stück Brot und verschlang es gierig. Sah dann <strong>de</strong>n betteln<strong>de</strong>n,<br />

we<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Hund, <strong>de</strong>r schluckte und schluckte, da sagte er mürrisch: Such dir doch was,<br />

Hasso, wenn du Hunger hast.<br />

Der Hund kroch zu ihm, Bauch auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, stieß mit <strong>de</strong>r Schnauze an die Jackentasche,<br />

schnuppernd, leise winselnd, <strong>de</strong>r Mann griff in die Tasche - ein harter Brotkanten. Er<br />

betrachtete ihn erstaunt, war versucht, ihn zu essen, gab ihn dann <strong>de</strong>m Hund, sagte: Na<br />

schön, da hast. Und nun? Wer<strong>de</strong>n heute fliegen, ja?<br />

Er betrachtete das Gestell, das vor ihm lag, aus Latten gezimmert, vogelähnlich <strong>de</strong>r Umriss,<br />

mit Decken bespannt. Segeln wird es, wie ein Adler, murmelte er, segeln, in <strong>de</strong>r Luft liegen,<br />

frei schweben, kein Ballon, kein Gas, nur segeln wer<strong>de</strong> ich, gleiten, steigen, nicht fallen,<br />

aufsteigen und hinabgleiten, fliegen, fliegen ...<br />

Er murmelte das Wort vor sich hin: fliegen, ... iegen, ... ie- gen ...<br />

Es klang wie siegen.<br />

Da schlug die Kirchturmuhr halb. Halb fünf.

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