Das Mirakel von Bernsdorf - Demo - Buch.de
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schreckliche Gedanke an eine Küsterstelle. In einer dunklen Schulstube sieht er sich stehen,<br />
ungebärdigen Dorfkin<strong>de</strong>rn das Abc einbläuen mit <strong>de</strong>m Rohrstock ... Katechismus und Bibel<br />
... Rechnen ist nicht vorgesehen ..., sieht sich die Schulgeldpfennige einsammeln aus<br />
mageren, schmutzigen Kin<strong>de</strong>rhän<strong>de</strong>n, weiß, dass sein Magen immer leer sein wird, dass er<br />
Bienen und Ziege und Acker und möglichst noch ein Handwerk nötig haben wird, um ihn<br />
nicht ständig laut knurren zu hören ... Und dann fällt ihm das Wöllnersche Edikt ein. Du<br />
musst diesen eingeschüchterten, hungrigen Kin<strong>de</strong>rn täglich Lügen und Prügel statt Wahrheit<br />
und Wissen zukommen lassen, Michel Marten, an<strong>de</strong>rnfalls wird nicht einmal <strong>de</strong>r<br />
Hungerposten <strong>de</strong>s Dorfschulmeisters für dich vakant sein ...<br />
Und da, aufspringend, stößt er das Häuflein Papier mit <strong>de</strong>m Fuß auseinan<strong>de</strong>r und sagt laut:<br />
Nein. Niemals. <strong>Das</strong> nicht. Auf gar keinen Fall.<br />
Erschrickt vor <strong>de</strong>r eigenen Stimme. Sieht dann die Sachen durch, flüchtig nur, wenig<br />
neugierig. Noten, viele Noten, ein paar Briefe. Briefe? Von wem hat Großvater Marten <strong>de</strong>nn<br />
Briefe bekommen? Ungeduldig plötzlich, faltet er die Bogen auseinan<strong>de</strong>r, liest, setzt sich auf<br />
die Er<strong>de</strong>, liest weiter.<br />
„Dessau, am 18. Februar 1776“, steht da.<br />
„Mein lieber Vater, ich danke Ihnen für Ihre gütigen Zeilen, die mir wohltaten, ersah ich doch<br />
daraus, dass Sie mir nicht mehr zürnen. Und ich beeile mich, Ihnen meine neue Anschrift<br />
mitzuteilen. Sobald ich gehört hatte, dass <strong>de</strong>r <strong>von</strong> mir hochverehrte Johann Bernhard<br />
Basedow vom Fürsten Friedrich Franz <strong>von</strong> Dessau die Mittel zur Errichtung seiner<br />
Pflanzschule erhalten, hielt mich nichts mehr im Königreich Preußen, und ich eilte, zu ihm zu<br />
gelangen. Und <strong>de</strong>nken Sie sich meine Freu<strong>de</strong>, liebster Vater, als ich in Dessau auch jenen<br />
Peter Villaurne wie<strong>de</strong>rfand, <strong>von</strong> <strong>de</strong>m ich Ihnen letztens schrieb, weiterhin Salzmann und<br />
GuthsMuths, <strong>de</strong>ren Schriften ich bei Villaurne gelesen hatte. Freilich sagen sie mir<br />
persönlich weniger zu, doch in Hinsicht auf unser großes Vorhaben sind wir eine einzige<br />
Familie: <strong>Das</strong> Philanthropin zu Dessau wird eine Werkstatt <strong>de</strong>r Menschenfreundschaft<br />
wer<strong>de</strong>n, eine Pflanzschule <strong>de</strong>r Aufklärung, aus <strong>de</strong>r gebil<strong>de</strong>te, freie, selbstbewusste<br />
Persönlichkeiten hervorgehen wer<strong>de</strong>n. Ach, Vater, ich weiß: Was ich Ihnen hier schreibe,<br />
muss Sie traurig stimmen, <strong>de</strong>nn wohl nirgendwo in Deutschland, die mecklenburgischen<br />
Herzogtümer ausgenommen, sieht es so finster an <strong>de</strong>n Schulen <strong>de</strong>s Volkes aus wie in<br />
diesem Preußen. Was ist <strong>de</strong>nn ein Volksschullehrer - und dies freilich nicht nur in Preußen<br />
und Mecklenburg, son<strong>de</strong>rn in allen <strong>de</strong>utschen Lan<strong>de</strong>n, was ist er mehr als einer <strong>de</strong>r<br />
niedrigsten Bediensteten, und <strong>de</strong>r Dorfschulmeister steht zu allerunterst. Und darf er etwa<br />
ein Volkserzieher sein? Muss er nicht ein Exekutor und Prügelmeister sein, soll er nicht je<strong>de</strong><br />
Persönlichkeit zerbrechen, die in ihrer Entwicklung <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Norm <strong>de</strong>s Untertanen abweicht?<br />
Aber man darf sich nicht abfin<strong>de</strong>n, Vater, man muss sich auflehnen, immer wie<strong>de</strong>r auflehnen<br />
gegen die Privilegien, in <strong>de</strong>nen ich die Wurzel allen Übels sehe.<br />
Meinen Plan zur Herausgabe einer Zeitschrift habe ich keinesfalls aufgegeben, sehe aber im<br />
Moment noch immer keine Möglichkeit, ihn zu verwirklichen.<br />
Gern schickte ich Ihnen Herrn Basedows <strong>Buch</strong> „Vorstellungen an Menschenfreun<strong>de</strong> über